Von der Einsamkeit des First Class Fliegens, Teil 2
Die First Class von Asiana ist in der Schnauze des Jumbos. Die Fläche dieser Klasse geht von der vorderen Eingangstüre bis zur Gaderobe, die im Bug eingebaut ist. Insgesamt gibt es 10 Sessel. Ich kann mir aussuchen, wo ich sitzen möchte, denn ich bin der einzige First Gast auf diesem Flug von Seoul nach Hongkong. Ich bleibe aber auf meinen gebuchten Platz 3 A, denn dort hat man ein gutes Raumgefühl. Da sieht man am besten den ganzen Platz, den man für sich hat und den die Asiana Kabine bietet.
Die Asiana hat hier große Klasse: Die Sessel stehen im leichten Winkel zu den Fenstern – 10 bis 15 Grad vielleicht. Das finde ich sehr schön, denn so kann man aus den Fenstern raus sehen, ohne sich den Kopf zu verdrehen. Man würde sich außerdem privater fühlen, wenn denn noch andere Passagiere auf diesem Flug in dieser Klasse gebucht wären. Doch diese Passagiere gibt es heute nicht. Nur mich. Dafür habe ich zwei Stewardessen und einen männlichen Flugbegleiter, die sich abwechselnd um mich kümmern. Vor dem Start bekomme ich zuerst von einer Stewardess ein feucht-warmes Frottee-Erfrischungstuch auf einem Tablett mit einer Servierzange gereicht. Es duftet nach Jasmin. Ich lege es zuerst auf mein Gesicht und atme diesen Duft ein. Dann reinige ich mit diesem Tuch meine Hände. Die Stewardess bleibt im Hintergrund und als sie sieht, dass ich mit dem Tuch fertig bin, nimmt sie es mir ab und bringt es weg. Dann kommt sie wieder und fragt, was ich denn vor dem Start trinken möchte. Ich sage, was ich bei dieser Frage immer sage: Orangensaft. Sie bringt ein Glas frisch gepressten Orangensaft (der natürlich aus der Tüte kommt, aber wie frisch gepresster Orangensaft schmeckt und Fruchtfleisch hat). Dazu reicht sie in einer kleinen Porzellanschale ein paar Nüsse zum Knabbern. Natürlich hätte ich auch ein Glas Champagner bekommen. Der kommt dann aus der Flasche und nicht aus der Tüte. Aber ich bevorzuge Orangensaft. So ist das in der First Class in der Zeit, wenn hinten die Economys noch ihre Plätze suchen. Da geht es mir schon mal recht gut, bevor ich überhaupt los fliege.
Wir sind kurz vor dem Start: Das Glas und die Nüsse werden mir weggenommen. Wir starten pünktlich nach Hongkong. Die Flugzeit beträgt mehr als drei Stunden. Diesen Zeit könnte ich ganz kurz so beschreiben: Zuerst habe ich eine Stunde gegessen. Dann habe ich eine Stunde geschlafen. Und dann habe ich wieder eine Stunde Nüsse gegessen und aus dem Fenster gesehen. Und dann waren wir schon in Hongkong. So war also mein Flug. Ich kann aber auch etwas mehr darüber berichten, wie es so ist, mit der Asiana ganz vorne in der Jumbo-Schnauze zu fliegen.
Dort ganz vorne geht ein Flug auf jeden Fall schnell vorüber. Schon bald nach dem Start bringt mir eine der beiden Stewardessen ein Amusgel wie in einem besseren Restaurant. Der Gruß aus der Küche schmeckt. Es ist gegrilltes Krabbenfleisch unter zartem Käsescheibchen, dazu eine Tasse kalter Melonensuppe. Das macht Appetit auf mehr. Ich lasse es mir weiter gut gehen mit einem frischem Salat, dann Fisch und Meeresfrüchte mit Reis an einer koreanisch-würzigen Sauce, und zum Nachtisch frische Früchte mit Käse und Lauch. Der Geschmack verdient Respekt. Einzigartig ist aber der Service dabei. Jeder Gang wird mir von vorne herangebracht und serviert. Dann entfernt sich die Stewardess rückwärts gehend nach hinten. Das wirkt sehr ehrfurchtsvoll mir gegenüber. Ich bleibe auch immer in Beobachtung. Mir ist diese Aufmerksamkeit fast zuviel. Auf keinem meiner Flüge bin ich so schnell bedient worden wie jetzt auf diesem Flug nach Hongkong. Sobald ich mein Messer und Gabel parallel auf die fünf Uhr Stellung bringe, wird der Teller schon abgeräumt. Da hat man nicht einmal Zeit zum Durchatmen.
Ich fühle mich müde, obwohl es ein Tagflug zur besten Vormittagszeit ist. Es ist ein wohliges Müdigkeitsgefühl. So ein Mittagsschlafgefühl. Nach dem Essen trinke ich deshalb keinen Wachmacher, sondern frage nach einer Decke und mehreren Kissen. Ich will dösen, vielleicht auch schlafen. Den Sitz habe ich inzwischen zu einem Bett ausgefahren, bestimmt 2 Meter lang und vielleicht 70 Zentimeter breit. Einer meiner beiden Stewardessen kommt, und will den Schlafsitz mit einem Bettlacken beziehen. Das ist mir zu viel: Nur eine Decke bitte und drei Kissen, sage ich. Schließlich habe ich auch keinen Schlafanzug bei mir. Ich bekomme beides, vor allem große Kissen. Und damit ist mir schon mal gut geholfen. Die drei Kissen lege ich so ab, dass ich besonders bequem liege (wobei ich sagen muss, dass ich immer ein Querschläfer bin): eines der Kissen kommt meist in den Rücken, ein anderes ist für den Kopf bestimmt und das dritte kommt entweder in die Bauchgegend oder auch in die Kopfregion.
Ich schlafe sehr gut. Bestimmt eine Stunde. Als ich aufwache, fühle ich mich fit wie ein Turnschuh. Ich setze mich im Schneidersitz auf das fliegende Bett und schaue nach draußen. Dort sehe ich dunstige Wolkenschichten vielleicht so auf 5.000 Meter Höhe. Es ist ein Wetter wie so oft in diesem südwest-pazifischen Raum (oder südost-asiatischem Raum, damit keine Himmelrichtungs- und Perspektivverwechslungen aufkommen). Ich sehe auch ein anderes Flugzeug, einen zweistrahligen Großraumjet, der uns begleitet - vielleicht 2 Kilometer entfernt ein paar hundert Meter unter uns fliegt er auch in unsere Richtung, Südwest nach Hongkong also oder weiter. Ich beobachte sehr lange unseren Begleitflieger und denke mir: Schaut da vielleicht auch einer gerade aus dem Fenster und sieht unsere Boeing 747? Wer weiß...
Zu einem guten Flug gehört für mich immer der Blick nach draußen: Ein schöner Sonnenauf- oder Untergang über den Wolken ist für mich mehr wert, als ein Flug in der First Class, wobei man First Class fliegen muss, um solches noch erleben zu dürfen: Nur in dieser Klasse darf der Passagier entscheiden, ob seine Plastikjalousine geschlossen wird oder nicht. Deshalb ist das mit dem Sonnenuntergang ein schlechtes Beispiel. Dann gebe ich ein anders Beispiel: Eine spannende Wolkenformation mit Gewitterwolken, die bis in 10.000 Meter Höhe reichen und an denen mein Flugzeug gerade im Slalom vorbeifliegt, weil der Pilot uns Turbulenzen ersparen will – ja, das sind Momente, die für mich einen Flug einmalig machen. Ich bin dann mittendrin in der Natur. 11.000 Meter über Mutter Erde. Ich bin dann weit oben in der Luft und sehe diese Wolken. Ich sehe sie von oben, die man normalerweise auf der Erde nur von unten sieht. Sogar einen Landeanflug auf Düsseldorf finde ich immer noch spannend, wenn mein Flieger in ein von der Sonne angestrahltes Wattemeer eintaucht – ein Wattemeer, das Wirklichkeit aus düsteren Regenwolken besteht, wenn man sie aus der unteren Perspektive von der Erde aus betrachtet. Da sind Wolken grau. Doch oben sind alle Wolken ein wunderbares Naturwerk. Sie schauen aus wie ein Wattemeer, wo jemand gerade Puderzucker draufgestreut hat. Das sind fantastische Anblicke, finde ich. Ich gestehe hiermit: Ich bin ein Von-Obenguck-Wolkenfan! Das freut mich beim Fliegen am meisten.
Zurück zum Flug von Seoul nach Hongkong. Ich bin der einzigste in der First Class. Also kann ich keine anderen Passagiere beobachten, was ich gerne tue. Ich bin mit mir allein und mit dieser Welt. Ich bestelle mir Orangensaft mit Campari, dazu Eis im Glas. Das ist eines meiner Lieblingsgetränke. Dazu gibt es immer wieder Nüsse. Ich knabbere die Nüsse so schnell, dass die kleine Porzellanschale rasch leer ist. Und einer meiner drei Aufpasser legt sofort nach, wenn in der Schale nichts mehr drin ist. Das schmeckt mir zwar gut, löst aber mein Übergewichtsproblem nicht. Und Nein Sagen fällt mir einfach schwer. Das sind die Momente, wo ich mir von den Stewardessen weniger Aufmerksamkeit wünschen würde.
Ich schaue durch das Fenster wieder nach draußen: Unser Begleitflugzeug ist weg. Der zweistrahlige Großraumjet, der uns begleitet hatte, ist nirgends mehr zu sehen. Ich suche den Flieger. Wo ist er nun hin? Wir sind doch eine Weile parallel geflogen. Aber das Flugzeug ist nicht mehr zu sehen. Hoffentlich ist unser Begleitflugzeug nicht von dieser Rakete getroffen worden, die ein kommunistischer General Nordkoreas genau an dem Tag abgefeuert, als ich gerade aus Südkorea nach Hongkong fliege. Später in den Nachrichten erfahre ich, dass diese Rakete kein Flugzeug getroffen hat, sondern irgendwo in den Pazifik gefallen ist. Die Rakete hat also keinen Schaden angerichtet. Zum Glück. Sie hätte ja auch uns treffen können. Oder unser Begleitflugzeug. Oder ein ganz anderes Flugzeug. Es fliegen viele Flugzeuge in dieser Gegend. Damit ist nicht zu spaßen. Die sowjetischen Militärs (als es die Sowjetunion noch gab) haben auch einmal mit einer Rakete aus Versehen einen südkoreanischen Jumbo abgeschossen. Das war über Sachalin, einer Halbinsel ganz im Osten Asiens. Das passierte in den 80er Jahre. Der Jumbo stürzte in den Pazifik, mehr als 300 Menschen starben. Der Jumbo war übrigens auf den Weg in das südkoreanische Seoul, wo ich gerade gestartet bin.
Es gibt also ein Süd- und ein Nord-Korea. Das sind zwei Staaten und auch zwei Welten. Dem Süden geht es trotz Wirtschaftskrise eigentlich ganz gut, der Norden leidet dagegen unter Hunger. Dafür bauen die nordkoreanischen Militärs immer wieder Raketen, die sie dann auch abfeuern. Das ist wirklich so. Das machen die Nordkoreaner alle paar Jahr einmal, um Amerika und Südkorea zu ärgern. Der neue amerikanische Präsident Obama war denn auch mächtig böse über diesen Raketenabschuss, wie ich später in der Zeitung lese. Auch meine Daheimgebliebenen haben sich etwas Sorgen gemacht. Eskaliert da gerade wieder einmal der Konflikt zwischen Nord- und Südkorea?
Wenn ich über Raketenabschüsse schreibe, dann muss ich aber auch fair sein: Die Amerikaner haben in der Golfregion einmal aus Versehen einen iranischen Airbus abgeschossen, und italienische Nato-Soldaten haben aus Versehen über dem Mittelmeer eine italienische DC-9 erwischt. Bei beiden Raketenangriffen hat kein einziger Passagier überlebt. Es kommt also durchaus vor, dass Militärraketen Flugzeuge treffen. Gut, dass heute nichts passiert ist.
Zurück zum Flug. Dort denke ich in der First Class gerade an ein ganz anderes Szenario. Unser Begleitflugzeug ist ja nicht mehr zu sehen. Es ist weg. Warum? Weil ich da ganz alleine in der First sitze, geht mir die Fantasie durch: Ich denke an die vielen Satelliten im Weltraum, die dort herum fliegen. Manche davon haben schon längst ausgedient. Zum Beispiel ehemaligen sowjetischen Militärsatelliten, aber auch ein paar ältere amerikanische Muster. Im Weltraum über unserer Erde schwirrt unkontrolliert viel Schrott herum. Was passiert eigentlich, wenn einer dieser unkontrollierten Satelliten seine berechnete Umlaufbahn verlässt und abstürzt? Was passiert, wenn dieser Satellit dabei zufällig und aus Versehen ein Flugzeug trifft? Dann stürzt dieses Flugzeug auch ab. Wenn ich in diesem getroffenen Flugzeug sitzen würde, dann hätte ich wenigstens einen First Class Tod: vorne auf Sitzplatz 3 A – da hat es mich getroffen, als ich gerade das Amusgel genieße, eine Tasse mit kalter Melonensuppe und dazu gegrillte Krabben. Einen schöneren Tod gibt es wohl nicht. Bei Völlerei und Genuss. Ganz plötzlich. First Class. Ohne Leid für einen persönlich. Vor allem ohne langes Leid für die Angehörigen. Man ist plötzlich nicht mehr da. First Class gestorben, würde auf meinem Grabstein stehen.
So, und nun nach diesem Schweif in die Weltpolitik, in Raketenabschüsse, in Krieg und Frieden und mit dem schwierigen Thema Tod muss ich nun beim Schreiben gerade den Bogen zu meinen Reisebericht wieder finden. Ich habe mir auf dem Flug nach Hongkong Gedanken gemacht, wo denn nun unser Begleitflugzeug geblieben ist. Das kommt vom Alleinsein in der First. Hätte ich einen netten Nachbarn gehabt, dann hätte ich ihm das Flugzeug gezeigt. Ich hätte viel Zeit dazu gehabt. Denn so lange hat mich noch kein Flugzeug begleitet, wie dieser zweistrahlige Großraumjet gerade eben - nicht einmal auf dem Nordaltantik, wo man solche Parallelflüge ja öfters betrachten kann. So nah habe ich noch nie ein anderes Flugzeug gesehen, dass auch in die gleiche Himmelsrichtung will wie mein Flugzeug, in dem ich gerade sitze. Und plötzlich ist dieses andere Flugzeug nicht mehr da. Sicherlich: Es hat einen anderen Kurs genommen. Das sagt die Vernunft. Und die Erfahrung.
Wir landen sicher in Hongkong. Ich erinnere mich, dass ich mich im Endanflug sogar noch auf die andere Seite gesetzt hatte in der Hoffnung, vielleicht einen Blick auf den Hafen und die City zu ergattern, auf Kowloon und Hongkong Island, und auf das Meer dazwischen. Doch ich habe Pech. Ich sehe Wolken, und durch die Wolkenfetzen sehe ich Stadtteile von Hongkong, aber nicht Kowloon oder die Wolkenkratzer auf Hongkong Island, was ich gerne sehen möchte. Wir landen mit unserem Jumbo sicher auf dem neuen Flughafen von Hongkong – ein Flughafen, der genauso beeindruckend ist, wie der Flughafen in Seoul Incheon.