Was man zwei Stunden am Münchner Flughafen machen kann
Gute zwei Stunden vor Abflug nach Seoul bin ich am Flughafen. Da hat man viel Zeit zum Einchecken, Shoppen und Lounge-Rumlungern, gerade an einem Samstag. Nirgendwo wird viel los sein, denke ich mir. Denkste. Es sind in der Tat wenig Business-Flieggäste unterwegs. Doch ist dieser Samstag ist ein besonderer Samstag. Es ist der erste Ferientag in Bayern. Das hatte ich vergessen.
Ostern steht vor der Tür, und damit stehen auch viele Familien am Lufthansa Checkin-Schalter. Ich stelle mich brav als letzter in die Reihe für Economy-Gäste, denn schließlich habe ich nur Economy gebucht und gehöre deswegen hierher. Beim Anstellen geht es voran, vor allem hinter mir: Bestimmt 10 oder mehr Familien reihen sich hinter meinem Rücken ein, alle mit vielen Koffern, manche mit kreischenden Kindern, einige mit weinenden Babys.
Die Lufthanseaten an den Economy Schaltern versuchen, zügig alle Urlaubsfamilien mit abzuarbeiten. Diese Economy Familien, manche sogar mit mitfliegenden Omas und Opas, lassen sich auch zügig abarbeiten, denn sie scheinen nicht kompliziert zu sein: Keiner hat spezielle Gepäckprioritätsvorlieben, nachträglich vegetarische Essenwünsche, eigenartige Sitzplatzpräferenzen oder kurzfristige Umbuchungsgelüste. Das Economy-Publikum ist pflegeleicht.
Es geht voran. Jede Minute einen Schritt weiter. Doch mir ist alles zu langsam, mir dauert es einfach zu lange. Ich bin ein Mensch, der nicht warten kann. Vielleicht bin ich der ungeeigneste Schlangensteher in ganz Deutschland. Beim Schlangenstehen verliere ich die Geduld. Und so ist es auch an diesem Samstag vormittag, dem ersten Osterferientag Bayerns. Nach gut 10 Minuten Schlangestehen gebe ich auf. Nur weg hier. Am besten rasch zum Business Class Check in. Da wird es schneller und ruhiger zugehen, denke ich mir. Am Business Class Schalter gibt es bestimmt keine kreischenden Kinder oder Kinder beruhigende Opas.
Denken ist manchmal Glücksache. Und so ist es auch, als ich mich an der Businessclass anstelle. Die Schlange ist bedeutend kürzer. Ich stehe fast schon am Eingang des Zugangs- und Absperrungslabyrinths – damit meine ich jenes Labyrinth, das aus Absperrungs- und Wegeführungsbändern besteht, wo man anfangs nicht weiß, wie lang die Schlange nun wirklich ist und an welchem Schalter man denn am Schluss tatsächlich rauskommt. Genau da stehe ich in der Hoffnung, spätestens in 10 Minuten meine Bordkarte zu haben und das lästige Gepäckstück los zu sein. Vor mir sind auch keine Familien mit Babys, kreischenden Kindern und mitreisenden Opas. Direkt vor mir sind nur flugerfahrene Männer mit Sakko, dem üblichen Businesshandgepäck und kleinen Koffern. Vor diesen Herren sind aber wieder Familien – Familien mit pubertierenden Töchtern, die ihre beste Freundin in Designerklamotten mit in den Urlaub nehmen dürfen, dazu ihre Mütter im billigem Pelz und besonders großen Koffern und natürlich das männliche Familienoberhaupt, der mit seiner Vielfliegerkarte für die ganze Familie plus bester Freundin am Business Schalter einchecken will, obwohl alle wie ich nur Economy fliegen. Fünf solcher Familienhorden zähle ich, die gerade an den Schaltern dran sind. An einem Schalter sehe ich, wie die Counterdame wieder alle ausgestellten Boardingpässe einsammelt, dann zerreist, um dann zum Schluss minutenlang die bestmöglich Sitzplatzkombination für sieben Leute auszutüfteln: Immer wieder schütteln einige aus dieser Grossfamilie den Kopf. Da hat die Counterdame scheinbar wieder die falsche Kombination ausgetüftelt. Irgendwann mal, so nach gefühlten 10 Minuten, sind aber alle mit ihren Sitzplätzen zufrieden und machen den Schalter frei. So ähnlich geht es auch an den anderen Schaltern zu. Ganz links scheint eine komplizierte Gepäcksache mit übergewichtigen Koffern das Problem zu sein, ganz rechts scheint es dagegen kein Problem zu geben, denn alle Familienmitglieder und das Countermädel verharren ruhig der Dinge und lächeln freundlich, während der vielfliegende Familienchef sehr lange mit dem Handy telefoniert. Warum es in dem Telefonat geht, weiss ich nicht. Aber erst nach Ende des Telefonats wird der Eincheckvorgang dieser Familie fortgesetzt, und alle lachen. Nur ich nicht. Das Privileg meiner wertvoll aussehenden Lufthansa Karte, auch am Business Class Schalter einchecken zu dürfen, ist an diesem Samstag eine Strafe. Andere Single Männer verlassen die Reihe. Vielleicht gehen sie ja zum First Class Schalter in der Annahme, dass es dort schneller geht (um es vorweg zu nehmen. Ich habe später dort kurz vorbeigeschaut. Auch dort war es voll mit Urlaubsgästen, die mit der Senatorkarte für ihren Economyflug eingeschecken wollten)
Wäre ich doch lieber in der Schlange für Economys geblieben, denke ich mir. Dann wäre ich schon fertig und in der Apotheke, um ein Medikament gegen Magenprobleme und Durchfall zu besorgen. Dieses Warten schlägt mir zusätzlich auf den Magen. An einem Schalter schimpft immer noch ein vielfliegendes Familienoberhaupt 15 gefühlte Minuten mit der Lufthansa. Ich kann es nicht hören, nur sehen – seine bittere Mine, sein strenger Mund, seine gestikulierenden Hände. Irgendwann kommt eine Lufthansa-Dame von der Seite und schafft es, den schimpfenden Vater mitsamt Familie vom Schalter wegzulotsen. Damit ist mein Schalter nun frei. Nach gefühlten 50 Minuten Anstehen (tasächlich waren es Economy und Business zusammengezählt bestimmt nicht mehr als 30 Minuten) bin ich endlich an der Reihe.
Ich sage nur Seoul, zeige meinen Pass und frage, ob der Flieger voll ist. Nein, ist er nicht, sagt der Mann am Lufthansaschalter, in der Business sind noch Plätze frei. Ist die Economy überbucht? Nein, ist die Antwort, sie ist ausgebucht, aber nicht überbucht. Diese Antwort ist schade, sehr schade sogar. Ich liebe überbuchte Economys, wenn ich Langstrecke fliege. Denn dann steigen die Chancen, mit einer Charme-Offensive später am Gate in die Business Class gesetzt zu werden. Damit löse ich für die Lufthansa das überbuchte Economy Problem und freue mich, für einen Schnäppchenpreis Business geflogen zu sein. Das klappt manchmal. Doch diesmal scheint eine solche Charme-Initiative chancenlos. Ich habe also auch meine Sonderfragen, wenn ich am Schalter bin. Jeder der heutigen Gäste scheint Sonderwünsche zu haben, mich ein bezogen. Ich spende deshalb Trost und Mitleid mit dem Lufthansa Mann, der an diesem ersten Ferientag seinen guten Dienst tut, um das anspruchsvolle Vielfliegerpublikum zu befriedigen, welches aber nur Economy in die Ferien fliegt. Er klagt humorvoll über das Problem meines Vorgängers, der da so lang am Schalter schimpfte. Eine bei der Buchung vergessene vegetarische Mahlzeitenbestellung für die Ehefrau und Tochter war es, die ihn so erregte.
Ich bekomme meinen Boardingpass mit vorab gebuchtem Fensterplatz und mein Carbonkoffer bekommt ein gutes Etikett mit Prioritylabel. Die Passkontrolle geht schnell, ebenso der Sicherheitscheck für das Handgepäck. Meine beiden kleinen Nagelfeilen, die ich immer ins Flugzeug bringe, bleiben bei der Kontrolle unentdeckt. Es ist mittlerweile schon viertel vor elf, eine Stunde vor Abflugszeit nach Seoul.
Die Apotheke ist bald gefunden, die Medikamente gegen Magenprobleme und Durchfall sind schnell gekauft. Und da ich gerade in einer Apotheke bin, habe ich natürlich auch noch eine wichtige Frage, die ich mir schon selbst gestellt habe: Bereise ich auf dieser langen Reise irgendwann ein akut gefährdetes Malariagebiet? Mein Wissenstand sagt nein. Die Chefin der Apotheke sagt aber ja, nachdem sie ihr kluges Buch befragt hat. In Indien werde ich am Schluss dieser Reise südlich von Jaipur in ein Gebiet fahren, wo die Prophylaxe dringlich empfohlen wird, ebenso die Empfehlung, Notfallmedikamente mitzunehmen, wenn es einen erwischt hat. Da ich aber nur zwei Tage dort bin, würde sich eine Prophylaxe nicht lohnen. Ich sehe das auch so. Mich wird schon keine Mücke stechen, sage ich mir.
Ich habe für diese Reise keine besonderen Vorbereitungen getroffen. Sie kam eigentlich ganz plötzlich. Noch sechs Wochen vor der Reise wusste ich gar nicht, dass ich verreisen werde. Deshalb läuft der ganze Trip auch etwas ungeplant ab mit all den vielen Umbuchungen. Ich habe vorher nicht einmal nach Malaria gefragt. Ich habe erst gestern abend um 10 Uhr den Koffer gepackt, als ob ich mal für ein verlängertes Wochenende nach Südtirol fahren würde. In diesem Koffer habe ich viel Blödsinn eingepackt, eine warme Outdoorjacke zum Beispiel, die ich höchstens in Korea brauchen könnte, aber sonst nirgends auf dieser Reise. Dafür habe ich mein Jacket vergessen, dass ich in Schwellenländer immer brauche wegen der vielen praktischen Taschen, wo man diebstahlsicher seine wertvollen Sachen verstauen kann, wie Geldscheine zum Beispiel. Auch habe ich mich nicht um die ortsübliche Währung gekümmert: Ich brauche den Wong. Das ist die südkoreanische Währung, die gerade soviel an Wert verliert. Wo bekomme ich nun den Wong am Münchner Flughafen? Irgendjemand wird doch wohl ein paar tausend Wongs für mich haben, wenn denn schon ein Flug ins Wongland geht. Bekomme ich den Wong bei dieser Reisebank? Nein, versuchen sie es bei der anderen, sagt man mir. Doch wo ist die. Ich mag nicht weiter suchen und sage mir, dass ich eben ohne tausende Wongs nach Korea fliegen werde. Schliesslich habe ich ja noch gut 300 Euro Bares dabei und meine wertvoll aussehende Lufthansa Karte, mit der ich bis jetzt überall in der zivilisierten Welt mein ortsübliches Bargeld bekommen hatte.
Es ist mittlerweile schon viertel nach elf. Noch 30 Minuten bis zum Abflug. Da lohnt sich kein Loungebesuch mehr, aber in einem Bistro ist noch Zeit für eine schnelle Coke zur Magenberuhigung und ein italienisches Brötchen, das einfach zu lecker aussieht und deshalb gegessen werden muss, trotz Magenprobleme. Dazu schlucke ich gleich drei Pillen, die ich gerade besorgt habe. Wird schon gut gehen. Und es geht auch gut. Ich bin irgendwie ganz gelassen, und gehe dann auch zum Gate, wo der Airbus A 340 nach Seoul steht. Dort ist alles ziemlich übersichtlich: Drei Lufthansa Frauen stehen am Schalter, sonst niemand. Ja, wo sind sie denn, die anderen Fluggäste? Schon drin im Flieger, sagt ein Lufthansa Mädel. In der Tat. Als ich den Flieger auf dem Weg zu meinem Platz durchschreite, sitzen fast alle Mitflieger schon brav auf ihren Plätzen. Mein Platz ist 43 K. Ein guter Platz am Fenster. Der Nachbarsitz ist überraschenderweise frei. Das ist das schönste. Glück gehabt, denke ich mir, mein Nachbar scheint ein No Show zu sein, ein Passagier, der nicht erscheint. Meine Ledertasche lege ich deshalb auf den Boden des Nachbarsitzes, und auf den Sitz lege ich alles, was ich so auf Langstrecke brauche: die Süddeutsche Zeitung, den Stern, den Spiegel und den Focus. Zeitungen sind mal die Grundlage für jeden Langestreckenflug. Und auf diese Grundlage lege ich das Zubehör: Mein IPhone mit den grossen Ohrhöhrern, dann mein aufblasbares Nackenkissen, daneben eine gerade gekaufte Plastikflasche mit Wasser gegen den Durst wegen der fehlenden Luftfeuchtigkeit an Bord und natürlich meine Wolljacke, falls ich frieren sollte.
Ich mache es mir also richtig gemütlich auf meinen beiden Economysitzen. Und ich freue mich, dass es nun in ein paar Minuten losgeht nach Seoul, Korea – wo eine Reise beginnt, an die ich später noch lange zurückdenken werde. Von diesem Flug aber später in den nächsten Tagen.