Po-Gefühl

Blueberry

Mitglied
Hallo zusammen,

bei den meisten Bedienern von großen Maschinen kommt irgendwann die Erkenntniss, dass der wichtigste Sinn eigentlich das Po-Gefühl ist. Hab es vorhin auch in ein Podcast gehört, dass es bei UL genau so ist. (Stichwort Realität vs Sim)

Frage: Ist das auch bei Jet's so? Und wenn es sowas auch gibt, was kann man so alles fühlen?

Grüße
Julia
 
Während den ersten praktischen Ausbildungsabschnitten, in denen man zunächst das grundlegende fliegerische Handwerkszeug mit auf den Weg bekommt, lernt ein Flugschüler relativ schnell (ok, bei manchen dauert's länger ;)) das von Dir beschriebene 'Fliegen mit dem Hosenboden'.

Hauptsächlich für ordentliche Landungen ist es unabdingbar. Allerdings bewegt man sich in diesem Stadium mit einer kleinen Einmot à la Cessna o.ä. mit einer Masse im Bereich von 1-2 Tonnen und mit Geschwindigkeiten von 100-200 km/h. Man kann teilweise die aerodynamischen Geräusche hören, besonders bei 'offenen' Fliegern oder Seglern. Desweiteren hat man ein sehr direktes 'Feedback' über die Ruder, die nur mittels Stahlseilen/-stangen mit dem Steuer verbunden sind.

Wenn man dann mit der Instrumentenflugausbildung beginnt wird einem relativ schnell beigebracht, dass man ab sofort tunlichst nicht mehr auf seine Sinnesorgane zu achten hat, sondern auf das, was die Instrumente anzeigen. Der menschliche Gleichgewichtssinn ist nämlich leider nicht dafür gebaut, über längere Zeit ohne Sichtkontakt zu einer festen Referenz eine verlässliche Information über die räumliche Position zu geben.

Das kann dazu führen, dass man einen handfesten 'Vertigo' erleidet, ein sog. Dreh-Schwindel der einem felsenfest daran glauben läßt, dass man sich in einer steilen Rechtskurve befindet, während der künstliche Horizont anzeigt, dass man perfekt gerade aus fliegt.

In einem großen Jet ist man hermetisch von der Aussenwelt abgeschnitten, trägt lärmkompensierte Kopfhörer, die Steuerung läuft erst über den Computer und wird dann hydraulisch betätigt und noch dazu sitzt man etliche Meter über- und vorderhalb der Flügel/Fahrwerke.

Trotzdem kann man mit einiger Erfahrung auch in einem großen Flieger mittels Gefühl weiche Landungen hinlegen, allerdings ist dies eigentlich gar nicht gewollt. Die 'perfekte' Landung in einem Verkehrsflugzeug ist mit der richtigen Geschwindigkeit, auf der Mittellinie nache am 1.000-Fuss-Punkt und deutlich positiv (also mit merklichem Landestoß). Das was von den Gästen am lautesten beklatscht wird (die butterweiche Landung), entspricht nicht dieser Definition.

Gruß MAX
 
Hallo Max!

Die 'perfekte' Landung in einem Verkehrsflugzeug ist mit der richtigen Geschwindigkeit, auf der Mittellinie nache am 1.000-Fuss-Punkt und deutlich positiv (also mit merklichem Landestoß).

Da habe ich gleich noch eine Frage: Welcher Sinkrate unmittelbar vorm Aufsetzen entspricht denn "deutlich positiv"? Kann man das sagen? Ab welcher Sinkrate wird's dann eine harte Landung? Und ab wann geht was kaputt bzw. muss der Flieger zur Überprüfung? Möchte gerne meine Landungen im FS besser einschätzen können, denn da fehlt das Po-Gefühl definitv ... ;)

Danke und besten Gruß,
Matthias
 
Zuletzt bearbeitet:
Für eine Overweight-Landing ist die max. erlaubte Sinkrate 360 ft/min. Darüber ist dann eine mehr oder weniger umfangreiche technische Kontrolle nötig. Für alle Landungen unter MLW gibt es auch ein max. Sinkrate, ich bin mir nicht ganz sicher, glaube aber von der Technik mal das 720 ft/min gehört zu haben, auf jeden Fall liegt sie deutlich über den o.g. 360 ft/min für Overweight.

Selbst 360 ft/min sind schon ne Menge Holz, umgerechnet knapp 2 m/sec und das gibt einen ordentlichen Rums. Der Flieger hält auf jeden Fall eine Menge mehr aus als das Ego des Pilotörs. Der A320 gibt automatisch einen 'Hard Landing Report' heraus, wenn seiner Meinung nach eine oder mehrere Faktoren dafür erfüllt sind. Auch wenn ich diesen Ausdruck zum Glück noch nicht sehen musste, so erlebt jeder immer wieder Landungen, für die man am liebsten im Boden versinken würde und bei denen man den Flieger während des folgenden Outside-Checks entschuldigend über den Bauch streichelt und ganz genau nach fehlenden Nieten oder Beulen im Blech sucht... ;)

Eine normale 'deutlich positive' Landung würde ich gefühlsmässig bei ~0,5 m/sec ansiedeln. Wenn die Bahn nass oder verschneit ist dann lassen wir es wirklich mal gerne 'krachen', sprich es wird deutlich weniger geflared um sobald als möglich effektiv bremsen zu können. Und das dürfte gefühlsmässig dann so bei 1-2 m/sec liegen. Da fällt dann dem einen oder anderen in Verbindung mit einer ordentlichen Bremsung schon das Gebiss raus oder die Brille von der Nase, aber auch das hält das Material locker aus.

Wer wirklich mal sehen will, was die Flieger abkönnen, dem sei empfohlen in realitas oder per youtube mal zuzusehen wie die Flugerprobung abläuft. Die Distanzen, aus denen sich unsere 'Required Landing Distances' errechnen, werden von den Werks-Testpiloten erflogen und da diese Performance-Werte natürlich auch 'Werbung' für das entsprechende Produkt sind, wird hier mit jedem Meter geknausert. Sprich: Da wird NULL geflared und auch das hält der Flieger aus - die Gäste würden sich allerdings wirklich 'bedanken'.

Gruß MAX

PS: Suddenly the ground came up and hit the aircraft several times :p
 
kritisch daran ist vorallem, dass es dabei einen Pitch von bis zu 11,6° erreicht - aber 11,7° würde man laut Bericht von einem Tailstrike sprechen :shut:

Kritisch ist vor allem, dass anscheinend Piloten durch die Gegend fliegen, denen regelmäßig -mal mehr mal weniger deutlich- bescheinigt wird, dass sie "das mit dem Landen noch nicht so richtig drauf haben". Oder?
Vertrauenserweckend las sich der Bericht jedenfalls nicht.
 
Zwar kamen in dem genannten Incident auf Kos erschwerende Faktoren hinzu (Topografie, Wetter/Wind), dennoch wird hier deutlich wie lächerlich die gesetzlichen Minimalvorschriften sind (auf die sich verschiedene einschlägige Airlines gerne berufen) und welchen Stellenwert eine starke und unabhängige interne Trainingsabteilung bedeutet.

Gemäß den Vorschriften ist es ausreichend, nach dem Typerating die vorgeschriebene Anzahl an 'Landungen' in einem Level-D-Simulator zu absolvieren und damit das sog. Base-Training (Platzrunden im Flieger) zu substituieren.

Sicherlich sind die mordernen Sims echt realistisch und aus dem Training nicht wegzudenken. Aber das 'Hosenbodengefühl' kann sich in einem Sim nie entwickeln, weil ja hier die menschlichen Sinne 'verschaukelt' werden, anders könnte ja die Illusion der Bewegung ohne Bewegung nicht entstehen.

Seriöse Airlines scheuen dagegen nicht den Aufwand, einen Flieger aus dem Umlauf zu nehmen und mit Ausbildern und neuen Ersten Offizieren für 1-2 Tage an einen geeigneten Platz zu fliegen und dort jeden 10-20 Paterns im echten Flieger machen zu lassen. Die Kosten dafür sind absolut betrachtet uferlos, aber es ist meiner Meinung nach für einen neuen Co einfach inakzeptabel, die erste echte Landung im Flieger mit 150 zahlenden Gästen zu machen.

Gruß MAX
 
Zuletzt bearbeitet:
Hier ein Beispielsvideo einer ähnlich harten Landung. Auffällig der ziemlich hohe pitch nach dem ersten "Sprung", der fast mit einem Tailstrike geendet hat.

Durch das Ausfahren der Groundspoiler wird ein starkes Pitch-Up-Moment verursacht, welches bewusst mit einem 'Nose-Down-Input' korrigiert werden muss, erst recht wenn der Flieger zu diesem Zeitpunkt nocht nicht 'zu Ende' gelandet ist.

Es gibt dafür eine eigene 'Bounced-Landing-Recovery' die quasi ein besonderes Go-Around-Verfahren darstellt, bei dem die Pitch-Attitude auf max. 7.5° beschränkt bleibt, bis der Flieger wieder kontrolliert vom Boden weggsteigt (laut Radar-Altimeter).

Dass die Pitch bereits beim ersten Aufsetzen so hoch war, deutet darauf hin, dass der Flieger sehr langsam angeflogen ist. Laut Airbus-Verfahren wird der Anflug (unsinnigerweise) mit Vls durchgeführt, die meisten Airlines fliegen jedoch 5 Knoten schneller an um den Preis einer 10% verlängerten Landestrecke. Die 5 Knoten höhere Geschwindigkeit führt zu einer deutlich niedrigeren Pitch und erhöht die Marge zu einem möglichen Tailstrike deutlich. Wie die Tunesier dies damals handhabten weiß ich nicht.

Dennoch muss man sagen, dass es bei richtigem Handling und ohne extrem wiedrige äußere Einflüsse eigentlich fast unmöglich ist, einen A319/A320 zu 'striken'. Die absolute Mehrheit der Strikes ereignet sich auf dem A321, der hier unter den entsprechenden Bedingungen sehr kritisch ist.

Gruß MAX
 
Wobei ich anmerken möchte, dass es auch bei renommierten deutschen Airlines nicht immer vor der ersten Landung auf einem neuen Typ ein Landetraining gibt ... Ob das jetzt bei frischen Kapitänen oder manchmal auch bei FOs so ist, weiß ich nicht.

Wie ich oben schrieb, geht es hier ausdrücklich um neue Erste Offiziere ('Co-Piloten'), die typischerweises eine Gesamtflugerfahrung von 200-300 Stunden haben und meistens noch nie einen Jet oder ein Flugzeug im Gewichtsspektrum 50-100 Tonnen geflogen haben.

Ein Kapitän(sanwärter), der vorher 10-14 Jahre als (S)FO geflogen ist, hat etwa ~7.000-10.000 Flugstunden und kennt 1-3 verschiedene Jet-Muster. Zwar ist es dennoch eine Umstellung wenn man vom Jumbo kommt und dann auf einem wesentlich 'kleineren' FBW-Airbus auf der anderen Seite sitzt, dennoch hat man mit der genannten Flugerfahrung ein Polster von dem man auch beim Erlernen des Landens ohne eigenes Base-Training auf einem neuen Muster zehren kann.

Gruß MAX
 
Alles klar, dankeschön!

Ist eigentlich die Umstellung auf den Airbus schwierig? Die Philosophien sind ja schon ziemlich unterschiedlich... im zitierten Blog schlägt sich der Pilot ja schon ganz schön damit rum, bis er "den Franzosenhengst" gezähmt hat. War das bei dir auch so?
 
Ich empfand die Umstellung als nicht so wild.

Ob das in einem Blog allerdings einer lesen wollen würde !? :shut:

Gruß MAX

Der wenig von diesem www-Exhibitionismus hält...
 
Dieser jene Kollege fliegt bei uns.

Bei mir war die Umstellung nicht vorhanden. Ich empfand es als "reinsetzen und fliegen". Fertig.
 
Solltest du ihn mal treffen, grüß ihn unbekannterweise - mir haben seine Blogs viel Spaß gemacht! Und als exhibitionistisch kann man sie meiner Ansicht nach nicht bezeichnen - gerade in Zeiten des Social Networking ist die Grenze zwischen einfacher Selbstdarstellung und Exhibitionismus ja fließend, aber er hat sie gewiss nicht überschritten. Da gibts andere Kaliber ;)
 
Zitat von Max Reverse
Das was von den Gästen am lautesten beklatscht wird (die butterweiche Landung), entspricht nicht dieser Definition.

und warum ist die weiche landung nicht die perfekte? warum ist eine mit mehr bums besser? gibts doch bestimmt nen grund für, oder?
 
Zuletzt bearbeitet:
Wenn die Landung etwas mehr "Bumms" hat,dann kann man sicher gehen,daß es der Flieger auch gemerkt hat,daß jetzt GND-Zustand angesagt ist......

Viele Systeme am Flieger benötigen Air/Ground Signale,und wollen da natürlich auch eindeutige Informationen.....
 
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