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die verständliche Sicht aus LH Cargo Perspektive:
"Es gibt zu Frankfurt keine Alternative!" - Interview mit Carsten Spohr, CEO der Lufthansa Cargo
30.08.09
Carsten Spohr, Vorstandsvorsitzender der Lufthansa Cargo, hat deutlich gemacht, dass im Falle eines absoluten Nachtflugverbots in Frankfurt das Geschäftsmodell der Lufthansa Cargo existenziell bedroht wäre und dadurch schrittweise sowohl die MD-11-Flotte als auch bis zu 50 Prozent der Arbeitsplätze weltweit gefährdet sein könnten. Im Interview mit Stefan Hartung erklärt der Vorstandsvorsitzende, warum die Lage nach dem VGH-Urteil noch ernster geworden ist.
Herr Spohr, Sie sprechen von Flottenstilllegung und Arbeitsplatzabbau – das klingt neu und bedrohlich.
Neu ist die Situation leider keinesfalls, denn Lufthansa Cargo hat immer betont, dass wir existentiell bedroht wären, wenn in Frankfurt wirklich künftig zwischen 23 und 5 Uhr absolut keine Nachtflüge mehr erlaubt wären. Anscheinend haben sich Teile der Politik und Justiz keine Vorstellung davon gemacht, was „existenzielle Bedrohung“ wirklich bedeutet. Es bedeutet eben ganz konkret, dass Lufthansa Cargo – und auch der gesamte Logistikstandort Frankfurt, mit Inkrafttreten eines absoluten Nachtflugverbots in eine unumkehrbare Abwärtsspirale gezogen würden, die aus einer Reduzierung der Frachttonnagen inkl. Verlagerung der Verkehre und Arbeitsplätze ins Ausland bestünde.
Die fehlende Bedienung der Nachfrage nach Nachtflügen führt zu einem Absinken der Frachttonnagen zugunsten ausländischer Drehkreuze. Sinken die Tonnagen, würden weitere Frachtflüge unwirtschaftlich und müssten eingestellt werden - bis am Ende der Betrieb einer Frachterflotte in enger Verzahnung mit den Bellies der Passageflugzeuge schrittweise nicht mehr wirtschaftlich möglich wäre. Unser Geschäftsmodell, bei dem wir in Frankfurt Bellies und Frachter eng verzahnen und optimal takten können, hätte dann hier keinen profitablen Bestand mehr. Die Frachtströme würden sich zunehmend zum Beispiel nach Amsterdam und Paris verlagern.
Warum hat sich denn gerade jetzt der Ton in der Debatte nochmals verschärft?
Auslöser für eine Präzisierung unserer Argumente ist das Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs, das am 21. August 2009 in Kassel gesprochen wurde. Das Gericht hat zwar festgestellt, dass der Ausbau des Frankfurter Flughafens rechtmäßig sei. Leider hat das Gericht aber auch die 17 Nachtflüge, die der Planfeststellungsbeschluss des Landes Hessen festgelegt hat, für deutlich zu viel erklärt und die Behörde damit zu einer drastischen Reduzierung aufgefordert – was faktisch auch ein absolutes Nachtflugverbot bedeuten könnte. Dadurch hat sich die Lage noch einmal erheblich verschärft und Lufthansa Cargo steht in der Pflicht, darauf hinzuweisen, welche weitreichenden Folgen es hätte, wenn ein absolutes Nachtflugverbot rechtskräftig würde.
Werden wir gegen das Urteil aus Kassel in Bezug auf die Nachtflüge klagen?
Wir werden auf jeden Fall alle möglichen juristischen Mittel in vollem Umfang ausnutzen, um unser Geschäftsmodell am Standort Frankfurt aufrechtzuerhalten und die Arbeitsplätze zu sichern. Leider werden wir über die genauen rechtlichen Möglichkeiten gemeinsam im Lufthansa Konzern erst nach Veröffentlichung der schriftlichen Urteilsbegründung entscheiden können, die uns binnen fünf Monaten nach Verkündung des Urteils zugestellt werden muss. Ich gehe davon aus, dass letztlich das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig entscheiden wird. Mit einem solchen Urteil wäre jedoch nicht vor 2011 zu rechnen.
Es wäre also zum Beispiel gut für uns, wenn Hessen von seinem Revisionsrecht Gebrauch machen würde und damit der Fall nach Leipzig ginge?
Das erwarten wir sogar, denn ich kann mir nicht vorstellen, dass Hessen einfach den Abbau des Logistikstandortes hinnehmen wird, der bei einem Nachtflugverbot zwangsläufig kommen würde. Und ich kann mir auch nicht vorstellen, dass Deutschland als Exportnation Nummer eins seinen größten Flughafen nachts einfach zumacht und sich für sechs Stunden von den weltweiten Frachtströmen verabschiedet. Deshalb fordern wir auch von der Bundesregierung, dass sie zu ihren Aussagen steht, die sie selbst vor zwei Jahren im Flughafenkonzept für Deutschland verabschiedet hat und bedarfsgerechte Flüge auch in der Nacht erlaubt. Es wäre doch grotesk, wenn in Kassel-Calden in der Provinz nachts für die drei dort ansässigen Speditionen vier Flüge erlaubt sind, der Mega-Hub Frankfurt mit über 250 Logistik-Unternehmen aber nachts dicht machen müsste.
Was fordert die Bundesregierung in dem Konzept genau?
Im Flughafenkonzept steht wörtlich zum Thema Frachtflüge geschrieben: „Zur Durchführung dieser Verkehre und um die Fläche der Bundesrepublik Deutschland mit solchen Dienstleistungen versorgen zu können, müssen bedarfsgerechte Kapazitäten auch in der Nacht zur Verfügung stehen, um auch zukünftig die Vernetzung Deutschlands mit den Wachstumsmärkten zu sichern. (…) Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist es geboten, eine Abwanderung entsprechender Verkehre zu Flughäfen ohne Nachtflugrestriktionen ins benachbarte Ausland zu verhindern.“
Es ist also der erklärte Wille der Bundesregierung, Nachtflüge nicht gänzlich zu verbieten und eine Verlagerung der Verkehre ins Ausland zu verhindern. Und wenn nicht in Frankfurt, wo 67 Prozent der Luftfracht ex Deutschland umgeschlagen wird, wo sollte denn sonst Deutschland mit den weltweiten Wachstumsmärkten verbunden werden? Im Passagier- und Frachtverkehr ist Frankfurt eines der bedeutendsten Drehkreuze der Welt und Deutschlands einziger Flughafen mit einem „360-Grad-Angebot“. Der Frankfurter Flughafen trägt wesentlich dazu bei, dass Deutschland eine der stärksten Wirtschafts- und Exportnationen weltweit ist und bleibt. Er ist ein Infrastrukturträger von nationaler und volkswirtschaftlicher Tragweite, ein „Big Player“ im Weltmaßstab. Das muss so bleiben und deshalb ist es überraschend, dass das Gericht in Kassel so gegensätzlich zum Willen der Bundesregierung urteilt.
Könnten denn die Frachter nicht nach Leipzig, München oder Hahn verlagert werden?
Eine Verlagerung der gesamten Flotte wird wirtschaftlich nicht darstellbar sein! Diese Diskussion kommt leider immer wieder auf, auch und vor allem bei Politikern, die es eigentlich mittlerweile besser wissen müssten – aber es ist und bleibt eine Laiendiskussion. Erstens: In München gibt es bereits jetzt ein Nachtflugverbot. Wieso sollten wir also bei Erlass eines Nachtflugverbotes in Frankfurt unsere Frachterflotte an einen Flughafen verlagern, an dem schon ein Nachtflugverbot besteht? Zweitens: Leipzig ist zwar ein moderner Flughafen mit einer guten Infrastruktur und einer Nachtfluggenehmigung, doch ein Logistiksystem aus Frachtern, Bellies, vielen Global Playern und produzierendem Gewerbe wie in Frankfurt gibt es dort nicht – und das setzt unser jetziges Geschäftsmodell voraus. Das Geschäftsmodell der Lufthansa Cargo benötigt die räumliche Nähe zwischen Passagier- und Frachtflugzeugen, da die beförderten Güter zwischen beiden Flugzeugtypen umgeschlagen werden müssen.
Drittens: Hahn. Nicht nur gibt es dort nur eine Bahn und viel Nebel, was eine Operation instabil macht, hier fehlt die Vernetzung von Frachtern und Bellies gänzlich. Damit ließen sich Frachter dort für uns nicht profitabel betreiben, denn es würden zusätzliche 47.000 LKW-Fahrten pro Jahr notwendig, die Kosten verursachen und die Umwelt unnötig belasten – nicht zu sprechen von der Lärmbelastung der Straßenanrainer und den wettbewerbsschädlichen Zeitverzögerungen.
Um die Standortdiskussion ein für alle mal zu beenden: Es gibt für uns und die Export-Nation Deutschland keine innerdeutsche Alternative zu Frankfurt. Wenn hier nachts dicht gemacht wird, fliegen die Spediteure ihre Fracht künftig vermehrt in Frachtern und Bellies im Ausland über Paris, Amsterdam oder andere europäischen Großflughäfen. Und wenn sie dies dort 24 Stunden tun können, warum sollten sie dann mit der „Tag-Fracht“ ausgerechnet noch in FRA bleiben und mehrere Umschlagzentren betreiben.
Parallel zur Nachtflugdebatte kämpfen die Cargo Lufthanseaten auch an einer zweiten Front, um die aktuellen Preisanpassungen im Markt durchzusetzen und zu helfen, das Unternehmensergebnis zu sichern. Ist ihnen die Begründung der Anpassungen aufgrund mangelnder Frachterprofitabilität nicht nun genommen, wenn die Flotte ohnehin abgeschafft werden soll?
Ich bin davon überzeugt, dass unsere Flotte Bestand haben wird, da ich sicher bin, dass die Argumente für eine praktikable Nachtflugregelung zum Schluss überzeugen werden. Bei der Preiskampagne und der Nachtflugdebatte gibt es daher durchaus Parallelen: Es geht darum, unsere Kunden bzw. die Öffentlichkeit, die Politik und die Justiz davon zu überzeugen, dass eine Anbindung an die weltweiten Frachtströme mit einer stabilen Lufthansa Cargo und über einen funktionierenden Hub FRA gerade auch in ihrem Interesse ist. Nach den ersten Kundenfeedbacks bin ich durchaus zuversichtlich, dass wir den gewünschten und dringend benötigten Erfolg haben werden. Eine erfolgreiche Preiskampagne ist jedoch nur eine notwendige Bedingung für den Erhalt der Frachterflotte.
Es gilt also zum einen, wirtschaftlich wieder auf die Beine zu kommen und außerdem unser Geschäftsmodell insgesamt zu verteidigen, indem wir alle Argumente für Nachtflüge klar auf den Tisch bringen. Zeitliche Verzögerungen können wir uns in beiden Fällen nicht leisten: Wir müssen JETZT an beiden Fronten kämpfen.
Herr Spohr, wie zuversichtlich sind Sie, dass Lufthansa Cargo auch 2011 noch Frachtflugzeuge betreibt?
Unser eigenständiger Flugbetrieb ist eine Kernkompetenz der Lufthansa Cargo im Interesse unserer Kunden gerade auch am Standort FRA. Ich bin zuversichtlich, dass unsere Argumente in einem abschließenden Prozess Gehör finden und wir auch weiterhin nachts fliegen können. Diese Entwicklung ist jedoch kein Selbstläufer, das heißt wir müssen bis dahin weiter Überzeugungsarbeit leisten – unter anderem in der Landes- wie auch in der Bundespolitik. Wir bauen darauf, dass das Flughafenkonzept der Bundesregierung nicht nur ein Papiertiger ist, sondern zum Wohle der Exportnation Deutschland auch Anwendung findet. Denn die darin manifestierte bundespolitische und volkswirtschaftliche Bedeutung unserer Branche wird ja auch anderen Industriezweigen in der Region zugeschrieben.
Fest steht: Wir kämpfen mit allen wirtschaftlichen, juristischen und politischen Argumenten und Mitteln für jeden Frachter und jeden einzelnen Arbeitsplatz bei Lufthansa Cargo am Boden und an Bord.