Ein großerSchritt nach vorn
Was erwartet die Piloten: Ein Expertengespräch für die LH Flightcrewinfo rund um die Boeing 747-8
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Emsiges Treiben in den Boeing-Werken bei Seattle: Zwischen den Fertigungslinien für die Boeing 777 und die „Dreamliner“ genannte 787 laufen die Vorbereitungen für die 747-8 auf Hochtouren, deren Fertigung für die Frachterversion (-F) ab August, und im Sommer 2009 für die Passagierversion (-I) beginnt. Als Erstkunde hat Lufthansa 20 Passagierversionen bestellt und hält Optionen für 20 weitere Flugzeuge. Die erste 747-8I bekommt Lufthansa Ende 2010: „Viele werden überrascht sein, was die 747-8I Passagieren und Piloten an Neuem bieten wird – auch wenn sie sich optisch nur wenig von der 747-400 unterscheidet“, prognostiziert Corky Townsend, Chefingenieurin des 747-8-Projektes, während sie durch die Werkshalle geht. Nur kurze Zeit später ist sie Teilnehmerin eines Expertengesprächs über fast 9000 nautische Meilen und 15 Zeitzonen hinweg:
Während Townsend und der für die Lufthansa-Konfiguration und das Einführungsmanagement zuständige Reinhard Andreae, FRA OB/T-I, in Seattle FlightcrewInfo Rede und Antwort standen, waren Lufthansa Check-Kapitän Uwe Strohdeicher, Leiter Boeing Operations Interkont, FRA NJ/O, und Mark Feuerstein, der als 748-8-Chefpilot für Boeing die Testflüge durchführen wird, aus Singapore live zugeschaltet. Wie alle anderen, so ist sich auch die Chefingenieurin sicher: „Die 747-8 ist ein großer Schritt nach vorn.“
Frau Townsend, warum ausgerechnet die Boeing 747-8? Warum nicht etwas komplett Neues wie die A380?
Townsend: Ich würde sagen: warum nicht? Wir nutzen die Vorteile der Boeing 747-400, statten die 747-8 mit neuen General Electric GEnx-Triebwerken und einem superkritischen Tragflächenprofil aus und „strecken“ den Jumbo zum ersten Mal in seiner fast 40-jährigen Geschichte um 5,6 Meter. Außerdem werden wir an bestimmten Stellen gezielt neuartiges leichtes, aber extrem robustes Material verwenden. Zusammengenommen reduziert das den Treibstoffverbrauch um 16 Prozent. Nicht schlecht für ein „Upgrade“.
Andreae: Die 747-8 baut auf einem ausgereiften, erfolgreichen Flugzeugtyp auf. Andere Flugzeugprogramme sind da wesentlich risikoreicher. Vor allem bei den Triebwerken und der Aerodynamik bieten sich viele Möglichkeiten, gezielt zu verbessern. Wenn ich gefragt werde, ob die 747-8 lediglich alter Wein in neuen Schläuchen sei, sage ich ganz klar: nein.
Townsend: Salopp formuliert, war von Anfang an unser Ziel, in enger Abstimmung mit Lufthansa so viele nützliche Sachen wie möglich für die 747-8I zu berücksichtigen. So müssen wir zu einem späteren Zeitpunkt nicht nachrüsten.
Also steht das endgültige Design noch nicht fest?
Townsend: Als Flugzeug hat die 747-8I bereits ihre endgültige Konfiguration erhalten. Es wird keine wesentlichen Änderungen beim Design geben. Dennoch werden unter anderem Lufthansa spezifische Details weiterhin in das Design miteinbezogen – das besprechen wir gegenwärtig.
Strohdeicher: Gerade erst hat sich Boeing bereit erklärt das uns bekannte „Runway Awareness und Advisory System“ (RAAS) zu installieren. Ein weiteres Beispiel ist die „Airport Moving Map“, die die Navigation am Boden erleichtert. Insgesamt haben wir hier viele positive Entwicklungen.
Auch wenn sie sich ähnlich sehen: Ist die 747-8 ein vollkommen anderes Flugzeug als die 747-400? Wenn ja, warum?
Townsend: Die Fakten sprechen für sich: 22 Tonnen mehr Nutzlast oder 16 Prozent mehr Treibstoffeffizienz pro Passagier im Vergleich zur 747-400. Der Treibstoffverbrauch wird gerade mal 3,5 Liter pro Passagier für 100 Kilometer Flugstrecke betragen. Mit einem für die Passagierversion 161,5 Kubikmeter großen Frachtraum können 21 Prozent mehr Frachtvolumen transportiert werden als bislang mit der 747-400. Das „Maximum Zero Fuel Weight“ beträgt 288 Tonnen und das maximale Startgewicht stolze 440 Tonnen. Die 747-8 fliegt 14 185 Kilometer und kann damit Passagiere und Fracht volle 1000 nautische Meilen weiter befördern als ihr Vorgänger. Kein Zweifel, die 747-8 ist ein großer Schritt nach vorn …
… vor anderen Flugzeugtypen vergleichbarer Größe?
Townsend: Aus Sicht einer Fluggesellschaft bedeutet die 747-8, Passagiere und Fracht insgesamt für die gleichen Kosten zu befördern. Aber zugleich sinken die Kosten pro geflogene Sitzmeile um 11 Prozent – wieder verglichen mit einer 747-400. Mit der 747-8 werden wir in der Größenkategorie von 400 bis 500 Sitzen einzigartig sein.
Feuerstein: Zusätzlich wird die 747-8 um 30 Prozent leiser sein und zum Beispiel den strikten C2-Lärmstandards am Flughafen London-Heathrow entsprechen sowie im Vergleich zum ICAO Chapter-4- Lärmstandard um 13 Dezibel geräuschärmer sein. Außerdem passt sie in bereits vorhandene Flughafen-Infrastrukturen – schließlich fliegt die 747-400 schon heute zu 200 Flughäfen weltweit. Und eine Airline wie Lufthansa hat durch ihren jahrzehntelangen Flugbetrieb mit der 747-400 eine ausgereifte Infrastruktur, die sie auch für die 747-8 nutzen können.
Werden Flughäfen demnach für die 747-8 bereit sein?
Townsend: Natürlich werden sich Flughäfen mit diesem Thema beschäftigen müssen. Aber: Bei allen Neuerungen sind sich 747-8 und 747-400 recht ähnlich. Deshalb glauben wir, dass Flughäfen nicht allzu lange brauchen werden, um sich anzupassen.
Andreae: Eine „Boeing Airport Compatibility Working Group“, bestehend aus Experten von Luftfahrtbehörden, Passagier- und Cargo-Fluggesellschaften und Boeing, kümmert sich aktuell sehr erfolgreich um dieses Thema. Zwei Lufthansa Kollegen arbeiten in dieser Gruppe mit. Während Boeing sich um Fragen rund um das Flughafen- und Taxiway-Layout kümmert, konzentrieren sich Fluggesellschaften auf Terminalgebäude und deren Kapazitäten: so etwa um die Abstände zwischen Gates und Flugzeugtüren.
Kommt die 747-8 auch problemlos mit schmalen Taxiways wie in Mexico-City klar? Die 747-8 mit 68,5 Meter Spannweite wird derzeit als Class Flugzeug eingestuft – genau wie die A380. Class F-Flugzeuge werden normalerweise nur für Runways mit einer Breite von 60 Metern zugelassen. Gibt es dennoch eine Zulassung für Runways mit einer Breite von 45 Metern?
Townsend: Wir werden eine entsprechende Untersuchung für 45 Meter breite Runways und schmale Taxiways durchführen. Allerdings gehen wir davon aus, dass die 747-8 die gleiche Manövrierbarkeit am Boden aufweisen wird wie die 747-400.
Strohdeicher: Soweit ich weiß, werden Piloten eventuell Probleme haben, vom Cockpit aus die äußeren Flügelkanten zu erkennen. Deshalb, weil sie nach hinten geschwungen sind und sich durch die Streckung des Flugzeugs das Cockpit 3,5 Meter weiter von der Flugzeugwurzel entfernt befindet. Demgegenüber sind bei der 747-400 die Winglets ein guter Indikator für die Spannweite. Das Manövrieren am Boden wird in Zukunft mehr denn je ein wichtiger Aspekt sein, da Flughäfen an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen. Mexico-City und JFK in New York sind dabei nur zwei von mehreren Beispielen. Vielleicht würde sich eine zusätzliche Kamera speziell fürs Taxiing anbieten: So hätte man die Flügelspitzen jederzeit im Blick.
Townsend: Wir werden auf jeden Fall noch weitere Simulationen durchführen müssen. Aber ich bin zuversichtlich, dass wir auch hier eine optimale Lösung finden werden.
Wie sehr wird sich das Cockpit für die Lufthansa 747-400 Pilotinnen und Piloten verändern?
Feuerstein: Zunächst einmal das Flight Management System (FMS): Neben einer größerer Speicherkapazität wird es in Zukunft noch schneller Daten verarbeiten können. Außerdem erhält die Multi-Purpose Control Display Unit (MCDU) ein farbiges LCD-Display anstelle des existierenden monochromen CRT-Displays.
Strohdeicher: Ich erwarte beim Layout des Fight Decks keinen großen Unterschied zur 747-400 – und das ist auch gut so. Änderungen wie eine Airport Moving Map, die über GPS-Technologie Piloten ihre Position am Boden anzeigt, ist natürlich eine willkommene Neuerung – gerade bei schlechten Sichtverhältnissen.
Ein großer Schritt in Richtung eines „paperless cockpit“ verspricht eine elektronische Checkliste, die auf dem Multi-Functional Display (MFD) zur Anzeige gebracht und über einen Drehregler kontrolliert wird. Ein mögliches Head-up Display, das von der Decke heruntergeklappt werden kann, wird gegenwärtig von uns auf seine Nützlichkeit im operativen Betrieb hin untersucht. Persönlich bin ich vom „Vertical Situation Display“ (VSD) beeindruckt, dass auf dem Navigationsdisplay den vertikalen Flugpfad zeigt …
Feuerstein: … was Piloten vor allem bei Non-precision-Anflügen unterstützt und helfen wird, unstabilisierte Anflüge früher zu erkennen.
Strohdeicher: Aber eine Sache wird sich wohl nicht ändern – und das ist der Braunton im gesamten Cockpit (lacht).
Feuerstein: Das stimmt – Lufthansa-Piloten werden auch weiterhin das angenehme „erdfarbene“ Braun genießen können. Auch die Größe des Flight Decks wird gleich bleiben, weil sich das Design für den vorderen Rumpfbereich nicht ändern wird. Das Cockpit bleibt also genauso vertraut wie immer.
Gibt es weitere Änderungen?
Townsend: Vergessen wir nicht das „Integrated Navigation Approach System“ (IAN), das „Global Positioning Landing System“ (GLS) sowie „Navigation Performance Scales“ (NPS). NPS steigert das Bewusstsein der Crew für die Position des Flugzeugs unter Berücksichtigung des beabsichtigten Flugpfades und der erforderlichen Navigationsperformance, während IAN analog zu einem Instrumentenlandesystem (ILS)-Gleitpfad den Sinkflug abbildet und so dem Piloten erlaubt, den Anflug wie bei einem ILS-Approach durchzuführen.
Andreae: Die „Required Navigation Perfomance“ (RNP) der 747-8 verbessert sich auf 0.1 nautische Meilen. Das bedeutet einen sehr hohen Grad an Navigationsgenauigkeit. Hierdurch wird die 747-8I auf dem neuesten Stand sein und zugleich hohen gesetzlichen Anforderungen für präzise Navigationsanflüge wie etwa „Special Aircraft and Air Crew Authorization Required“ (SAAAR) entsprechen.
Feuerstein: Etwas für die 747-400 Charakteristisches wird der Vergangenheit angehören: Der Fahrwerkshebel wird nur noch die Wahl zwischen „Up“ und „Down“ zulassen. Die Möglichkeit den Hebel auf„Off“ zu schalten, gibt es bei der 747-8 nicht mehr (lacht).
Wie sieht es mit dem Geräuschpegel im Cockpit aus?
Andreae: Er wird sich reduzieren. So wird etwa die Dämmung zwischen der Innenverkleidung des Cockpits und der Außenhaut verstärkt. Hierdurch wird wahrscheinlich die größte Verbesserung erzielt.
Townsend: Zusätzlich planen wir mit Scheiben, die eine verbesserte Geräuschdämpfung aufweisen. Zudem haben wir die Lüftungskanäle der Klimaanlage an Bord ein wenig besser eingestellt. Beides gibt es bereits für die 747-400 Extended Range (ER), die nicht Teil der Lufthansa-Flotte ist. Also werden Lufthansa-Piloten im Vergleich zur 747-400 den Unterschied merken.
Die 747-8 wird exklusiv mit General Electric (GE) GEnx-2B67 Turbofan Triebwerken ausgestattet …
Townsend: … der Schlüssel zur Treibstoffeffizienz und Umweltfreundlichkeit der 747-8 gerade weil sie mit einer schadstoffarmen Brennkammer ausgestattet sind. Im März dieses Jahres hat die GEnx-2 B67 bei Bodenversuchen auf Meereshöhe einen Startschub von 70100 Pfund geschafft. Eine gute Nachricht, da wir mit einem Startschub von 67 500 Pfund und einem Nebenstromverhältnis von 1:8.0 planen. Es wird das erste Triebwerk der Welt sein, dessen vorderes Fan-Gehäuse und Triebwerksschaufeln aus Karbonfiber-Verbundwerkstoffen bestehen. Das sorgt für eine längere Haltbarkeit, weniger Gewicht und geringere Betriebskosten. Sägenzahnartige Kanten am hinteren Ende der Triebwerksgondel und der Düsenöffnung sorgen für eine lärmmindernde Mischung der heißen Abgase mit der Luftströmung. Das reduziert den Geräuschpegel.
Wozu sind die Flügelspitzenverlängerungen, also die „Raked Wing Tips“?
Andreae: Der Flügel hat mehr zu bieten, als nur die Raked Wing Tips. Verglichen mit früheren 747-Modellen wird er komplett neu entworfen. Druckverteilung, Biegemoment sowie dynamische und statische Lasten werden sich ändern. Vor allem das neue superkritische Tragflächenprofil mit seiner fortschrittlichen Technologie lässt den Flügel wesentlich effizienter Nutzlast tragen, für Auftrieb sorgen und die Geschwindigkeitsleistung verbessern.
Superkritisch bedeutet …
Townsend: … ein Tragflächenprofil, entworfen, um vor allem im schallnahen Geschwindigkeitsbereich, in dem die meisten Passagierflugzeuge fliegen, die Zunahme des Luftwiderstandes hinauszuzögern. Im Vergleich zu klassischen Tragflächenprofilen zeichnet es sich durch eine flachere Oberfläche, einen stark bogenförmigen
hinteren Bereich und einen größeren Radius für die Anströmkante aus. Das superkritische Tragflächenprofil macht den Flügel sogar ein wenig „dicker“: So hat die 747-8I eine um 2000 Liter größere Tankkapazität von insgesamt 243120 Litern als die 747-400.
Andreae: Raked Wing Tips basieren auf dem Tragflächenmodell der 777. Sie helfen, Luftwirbel an den Flügelspitzen sowie Wirbelschleppen und Luftwiderstand insgesamt zu reduzieren. Fly-by-Wire für das äußere Querruder und die Spoiler wird das „Maneuver Load Alleviation“ ermöglichen, das bei Flugmanövern und bei Windböen die Erdanziehungskraft und aerodynamische Lasten reduzieren hilft.
Feuerstein: Die inneren Klappen werden „double-slotted“ und die äußeren Klappen „single-slotted“ ausgelegt. Das garantiert ein wesentlich saubereres, effizienteres und leichteres Klappensystem. Durch eine neuartige Tragekonstruktion befinden sich die Klappen nun näher am Flügel, während die Verkleidung der Landeklappenträger aerodynamisch neu gestaltet wird. Und: Klappen, Querruder und Spoiler bestehen nunmehr aus extrem stabilen Verbundwerkstoffen und wiegen vergleichsweise wenig.
Wie wirkt sich der Flügel auf die Flugeigenschaften der Maschine aus?
Andreae: Die 747-8 ist für eine hohe Fluggeschwindigkeit ausgelegt. Also wird sich der Geschwindigkeitskorridor verringern, in dem man effizient fliegen kann. Bei der 747-400 steigt der Luftwiderstand bei geringerer Geschwindigkeit langsamer an. Deshalb ist die Performance im unteren und oberen Geschwindigkeitsbereich relativ gleich. Mit dem superkritischen Tragflächenprofil erhält man nun eine bessere Performance im Hochgeschwindigkeitsbereich, allerdings ist der Geschwindigkeitskorridor hierfür schmaler. Piloten werden daher genauer darauf achten müssen, wie schnell sie unterwegs sind.
Strohdeicher: Unsere Piloten fliegen nach einem „Cost Index”: Je nach Gewicht und Wetterlage variiert die Geschwindigkeit, um so effizient wie möglich unterwegs zu sein. Dabei spielt sich in der Regel alles zwischen Mach .84 und .86 ab, Flügel – und Triebwerke – sind speziell für diesen schmalen Geschwindigkeitskorridor konstruiert worden. Und in diesem Geschwindigkeitsbereich soll die 747-8 die beste Performance liefern – ein gutes Argument, sich für dieses Flugzeug zu entscheiden. Dieselbe Strecke wird mit höherer Geschwindigkeit und gleichbleibendem Treibstoffverbrauch geflogen.
Feuerstein: Dieses Profitpotenzial ist für Piloten als Manager ihres Fluges enorm wichtig. Das Fly-by-Wire wird für die 747-8 so ausgelegt sein, dass sie den gefühlten Flugeigenschaften der 747-400 entspricht und zugleich eine größere Nutzlast mit der gleichen Start- und Landegeschwindigkeit befördern kann.
Teil 2 folgt