Singapore - Bangkok (Boarding First Class)
First Class auf Mittelstrecken werden weltweit kaum mehr angeboten - auch in Asien nicht mehr. Doch zwischen Singapore und Bangkok bietet eine Fluggesellschaft feinstes First Class Fliegen an - und das sogar zur passenden Abendzeit: Nach dem Tagwerk in Singapore kann man im Flugzeug bestens zu Abend speisen, um dann in Bangkok zu einer menschlichen Zeit vor Mitternacht müde ins Bett zu fallen. Wer bietet einen solchen First Class Service auf der Strecke Singapore nach Bangkok am Abend an? Die Antwort hat mich auch überrascht: Es ist nicht die Singapore Airlines und auch nicht die Thai. Es ist eine kleine, aber sehr feine Gesellschaft eines ebenso kleinen Bergvolkes, das sehr stolz auf sich ist und ihre Fluggesellschaft. Dieses Bergvolk hat eine Flagge, an der man es sofort erkennt: es ist eine rote Fahne mit einem weissem Kreuz mittendrin. Und diese Flagge ist auch das Erkennungszeichen der Fluggesellschaft des kleinen Bergvolkes: es ist die Swiss. Die Schweizer bringen mich also in der First Class von Singapore nach Bangkok. Und sie tun es auf ihre Art und Weise, die einmalig ist: Es geht bei diesem Flug um lockeren First Class Service und um das Gefühl, ein wichtiger Mensch zu sein. Genau das vermittelt mir die Swiss und allen dezenten Wichtigkeitsfacetten.
Also: Wer sich einmal im Leben so richtig wichtig fühlen möchte, der sollte diesen Flug buchen und natürlich auch fliegen. Man erlebt auf diesem kurzen Trip alle unterschiedlichen Wichtigkeitsgefühle - von "Normal First Class Wichtig" - das ist die unterstes Abstufung - beim Check-In in Singapore bis hin zum "Super Extrem Wichtig" bei der Einreise in Bangkok. Man steigt förmlich auf der Wichtigkeitsskale auf - vor, während und nach dem Flug. Am Schluss weiss man gar nicht, wie wichtig man nun wirklich ist. Man könnte sogar Grössenwahnsinnig werden: Ich lag 50 Minuten nach der Landung in Bangkok schon in meinem Hotelbett mitten in der Stadt. Das glaubt mir keiner, aber mit First Class geht es. Eigentlich bräuchte man im Hotelbett dann jemanden, der einen in die Nase beisst und sagt: "Hör mal: Du bist auch ein ganz normal Sterblicher!"
Dieser Flug muss deshalb von Anfang an beschrieben werden. Ich beginne mit dem Check-In in Singapore. Dort bin ich auf der Wichtigkeitsskala noch als "normal" eingestuft. Ich bin gute drei Stunden vor Abflug da, denn ich möchte auf dem Flughafen noch eine spezielle Sache einkaufen. Am Swiss-Schalter stehen nur vier Menschen - es sind die vier kleinen und gar nicht mal so hübschen asiatischen "Handling-Agentinnen" der Swiss (apropos Handling-Agentin: was für eine sonderbare Wortschöpfung. Da denke ich doch eher an James Bond Agent 007 und seine Girls, aber nicht an Boden-Stewardessen).
Von Fluggästen ist weit und breit nichts zu sehen: am Economy-Schalter steht keiner an, am Business-Schalter auch nicht und am First-Class-Schalter ebenso niemand. Liegt es daran, dass ich zu früh dran bin? Liegt es daran, dass niemand von Singapore über Bangkok nach Zürich fliegen möchte? Ich weiss es nicht. Jedenfalls steht kein Passagier an. Ich gehe also zum Economy-Schalter und lege mein wichtig aussehendes Lufthansa Kärtchen und meine Reisepass vor. Ich habe ja ein "unsichtbares" F-Etix - also mal sehen, was passiert, wenn man am falschen Schalter steht. Da passiert folgendes: ein Auflauf von weiblichen Swiss-Agenten! Die kleine Economy-Handling-Agentin schnattert asiatische Wörter zu ihren beiden Agentinnen am Business- und First-Class-Schalter. Beide Agentinnen springen auf, und auch die zweite Economy-Agentin links daneben stösst hinzu. Ich habe es jetzt mit vier kleinen Handling-Agentinnen zu tun, die zwar nicht so hübsch, aber dafür um so unterhaltsamer und nett sind. Sie schnattern mit mir Englisch, ich schnattere auch zurück. Ich fühle mich wohl. Vier Frauen kümmern sich um mich: um meinen Koffer, meinen Gutschein für die Lounge und um meine Boardingkarte.
Singapore hat einen sehr interessanten Flughafen. Man läuft auf Teppichböden und man kann gut Einkaufen oder durch Geschäfte schlendern, um zu sehen, wie und was andere einkaufen. Zweites tue ich am liebsten (Leute beim Einkaufen beobachten), denn das Einkaufen selbst gehört nicht zu meinen Stärken. Ich habe erstens keine Geduld und zweitens keine Ahnung von den meisten Produkten, die ich einkaufen soll oder muss. Doch diesmal steht tatsächlich ein Einkauf auf meinem Programm, den ich mir fest vorgenommen habe: Ich möchte mir für mein IPhone einen Kopfhörer besorgen, wie ihn Singapore Airlines für seine First Class Gäste anbietet - einen Kopfhörer, der Aussengeräusche absorbiert. Den gibt es im Apple-Store. Der ist in einem anderen Terminal. Also fahre ich nach der Passkontrolle erst einmal Zug zum nächsten Terminal: es ist ein automatischer Zug auf Gummireifen ohne Zugführer (gesteuert durch Geisterhand wie die U-Bahn in Nürnberg). Mich begeistert so eine Kleinigkeit, und ich fahre deshalb wie auch schon bei meinem letzten Aufenthalt in Singapore vor zwei Wochen mit dem automatischen Zug auf Gummireifen wie ein Kleinkind umher - von Terminal 1, 2 bis zu 3 und wieder zurück. Ich glaube, dass ich in Termnal 3 ausgestiegen bin: Ich finde schnell den Apple-Store, erkläre dort mein Anliegen und bekomme auch einen Kopfhörer zu hören. Er hört sich gut an. Ich kaufe den Kopfhörer - obwohl ich den Produzenten-Namen nicht kenne und ich den Preis auf den ersten Blick etwas teuer empfinde. Erst in München erfahre ich, dass ich mit 150 Euro für den Kopfhörer und seinen Markennamen ein Schnäppchen gemacht habe. Doch der Verkäufer hätte mir auch einen Schwachsinn andrehen können. Ich hätte es nicht gemerkt, weil ich beim Thema Kopfhörer keine Kompetenz besitze. Ich habe aber Glück gehabt: Der Kopfhörer reduziert tatsächlich Aussengeräusche. Beim Fliegen hört man kaum die Fluggeräusche. Das ist auch ein Wunder der Technik - ein Wunder, das ich nicht verstehe. Dafür verstehe ich, warum Flugzeuge fliegen. Das habe ich begriffen. Ist ja auch etwas, oder?
Zum Wegfliegen nach Bangkok ist es noch viel zu früh. Ich fahre wieder Flughafenzug und suche in meinem Terminal die Lounge, die auch Swiss-Gäste betreten dürfen. Die Lounge hat eine Wartebereich für Business-Class-Passagiere von mehreren Airlines, die sich diese Lounge teilen. Dieser Wartebreich ist voll. Geschäftsmänner, Businessfrauen und Familien mit Kinder warten da. Die Lounge hat aber auch einen einen offenen Wartebereich speziell für First-Class-Passagiere, getrennt nur durch ein Schild vom Businessbereich "only First Class Passangers beyond this point". Mein Bereich, der First-Class-Wartebereich ist komplett leer. Ich bin der einzige. Ich habe vielleicht 100 qm, mehrere Sessel, einen riesigen Flat-TV und unzählige Zeitungen und Zeitschriften für mich alleine. Es ist ein offener Wartebereich. Jeder kann mich sehen. Ich fühle mich wie in einem Zoo: "Guck mal, ein First Class Mensch! Was macht der da?" - so deute ich den Blick eines kleinen Kindes. Ich verkrieche mich deshalb ins hinterste Eck. Ich sehe mich um: Das warme und kalte Buffet ist sowohl für C- als auch für F-Passagiere da. Es schmeckt mir weder nach C (Businessclass) noch nach F (Firstclass) - es schmeckt mir gar nicht, es schmeckt sogar schrecklich (man möge mir diese harte Kritik verzeihen). Also esse ich nichts. Ich beschliesse, Duschen zu gehen. Als First Class Mensch habe ich einen eigenen Eingang zu den Duschräumen. Nach dem Eingang stosse ich aber auf die selben Duschen, die auch Business-Class-Leute benutzen dürfen. Unter der Dusche sind wir alle also wieder gleich. Ich bin ja im Augenblick noch "normal" wichtig, warum soll es mir also besser gehen. Das ist auch nicht wichtig. Entscheidend ist die Qualität der Duschen. Und die ist sehr gut: Jede Kabine ist abschliessbar, hat einen Waschtisch, einen grossen Spiegel, einen Rattan-Sitz, Handtücher und natürlich die Dusche. Was will man mehr?
Eine halbe Stunde vor Abflug verlasse ich die Lounge und gehe zum Gate, zum Swissflug nach Bangkok. Die Boardingpass-Kontrolle ist gleich am Gate-Eingang. Nach dem Kontrollpunkt sitzen die Passagiere und warten auf das Boarding. Für mich ist dies nach zweieinhalb-Wochen Australien, Neuseeland, Sydney und Singapore ein erstes Heimatgefühl. Es mag für den ein oder anderen Lesern keine lange Zeitspanne sein. Doch nach den vielen Flügen der letzten Wochen und nach den vielen beeindruckenden soziokulturellen Erlebnissen freue ich mich auf ein kleines Stück Heimatgefühl, auch wenn die Heimat gerade nur Swiss heisst. In Vier Tagen bin ich zwar schon in München (dazwischen liegt noch Bangkok), aber am Dienstag zwei Tage nach der Rückkehr nach München fliege ich schon wieder los, hat mir mein Büro gemailt. Deshalb freue ich mich über die Swiss, über zwei Stunden Heimat. Am Gate sitzen ein paar Asiaten, viele Franzosen und Italiener, vor allem aber Schweizer und Deutsche. Ich höre den Dialekt, und er tut irgenwie gut. Ich schaue mich um: Viellleicht kenne ich ja jemanden. Das kommt schon mal vor, dass man auf einem Flughafen alte Bekannte trifft. In München hatte ich einmal meinen Physik-Lehrer getroffen. Der hatte in meiner Schulzeit dafür gesorgt, dass ich ich die 11te Klasse wiederholen durfte und fast im Abitur gescheitert wäre. Am Flughafen habe ich ihn dann öffentlich spüren lassen, dass man auch als schlechter Schüler eine Karriere machen kann, auch wenn sie nicht bedeutend ist. Das war damals meine Rache. Doch heute sehe ich niemanden, an dem ich mich rächen könnte, oder bei dem ich mich bedanken solte. Denn so etwas kommt auch vor, dass man sich bei anderen Menschen bedanken könnte - nur vergisst man dieses doch zu leicht. Aber heute ist niemand da, bei dem ich mich bedanken könnte, denn schliesslich sind wir nicht in München, sondern in Singapore und warten auf das Boarding nach Bangkok. Weit weg also von der Heimat.
Das Boarding beginnt: Gebrechliche, Honcircle-Mitglieder und Star-Alliance-Goldmember sollen zu erst boarden. Ja, so ähnlich wurden wir aufgerufen, und einen solchen Aufruf habe ich bis heute noch nicht gehört. Dieser Aufruf war neu für mich. Ich bin im Augenblick noch "normal" wichtig und gehöre deshalb nicht zu erwähnten Kreis, geselle mich aber dennoch dazu, denn schliesslich fliege ich First Class und da will ich schon einer der ersten im Flugzeug sein. Ein alter Rollstuhlfahrer mit Frau, zwei Herren und ich gehen zum Eingang der Fluggastbrücke. Kontrolliert wird keiner. Doch die beiden Anzugherren und ich scheinen ohne Worte so wichtig genug aufzutreten, dass wir zum erlesenen Kreis der First-Boarder gehören - beim älteren Rollstuhlfahrer sieht man es und seine Frau lässt man gewähren, obwohl ich doch meine, dass beide auf ein solches Privileg gerne verzichten würden und lieber gesund wären.
An der Flugzeugtüre finde ich mein kleines Boardingpass-Sitzplatzetikett nicht mehr. Ich sage, dass ich ganz vorne auf Platz 2A sitzen würde. "Oh, Herr ....., ja bitte sehr, gerne", sagt der Steward an der Flugzeugtüre, nennt meinen Namen und weisst mit den Händen mir den Weg nach vorne. Woher kennt er meinen Namen? Ich finde doch meinen Boardingzettel nicht mehr, wo mein Name draufsteht, der mich berichtigt, in der First Class zu sitzen. Woher kennt der mich? Ich gehe durch den vorderen Teil der Business in die First Class und lege dort auf dem Ottoman meine Reisetasche ab (ja, Swiss hat einen Ottoman vor jedem First Class Sessel). Eine Stewardess in meinem Alter kommt zu mir, nimmt mir mein Sakko ab und begrüsst mich ebenfalls mit Namen: "Guten Abend, Herr ....., schön, dass sie heute mit uns fliegen!" Woher kennt Sie meinen Namen? Ich habe doch meinen Bordingzettel nicht mehr. Sie nimmt mir mein Sakko ab, hängt es in die Garderobe und bringt mir einen Orangensaft, den ich gewünscht hatte. "Bitte sehr, Herr ....." Es entwickelt sich nun eine Unterhaltung, die ungefähr folgendermassen abgelaufen ist: "Darf ich Ihnen sonst noch etwas bringen, Herr ...... Haben Sie noch einen Wuúnsch?" Ja, den habe ich: Eine Süddeutsche Zeitung und den Spiegel bitte! "Einen Spiegel?" Ja, den Spiegel bitte! Die Stewardess geht und kommt wieder. "Bitte sehr, Herr .... Hier Ihre Süddeutsche Zeitung. Einen Handspiegel haben wir leider nicht an Bord, auch im Kulturtäschen ist keiner. Sie müssten in die Refreshingroom gehen! Dort finden Sie am Waschtisch einen Spiegel. Ich werde aber Ihre Anregung weitergeben!" Ich kläre sie auf, dass ich das Nachrichtenmagazin Spiegel meinte. Ja, ja - die Schweizer. Sie lacht. Ich lache. Wir verstehen uns, und wir werden uns den ganzen Flug sehr gut verstehen. Davon später.
Man bekommt ja bei allen Airlines in der First Class einen Kulturbeutel und wird bei fast allen besseren Airlines in der First Class immer mit Nachnamen angesprochen. Doch diesmal ist es anders: Es ist alles irgendwie noch zuvorkommender als sonst, aber geichzeitig auch lockerer (vielleicht liegt es am Schweizerdeutsch, dass ich diese so wahrnehme). Doch: Es scheint, als ob ich mit dem Betreten des Airbus A 340 eben gerade in Singapore die Wichtigkeitsstufe "Sehr wichtiger Mensch" erklommen hätte. Zumindest fühle ich so, als ob ich plötzlich sehr wichtig bin. Doch zu diesem Gefühl erlebe ich auf diesem Flug noch Steigerungen bis hin zum absoluten Gefühlstatus: "Ausserordentlich sehr wichtiger und einzigartiger Mensch". Doch von diesen Steigerung in meinem nächsten Bericht.