Der Brief mit der richtigen Anrede
Sehr geehrter Herr Verkehrsminister,
verzeihen Sie, dass es länger gedauert hat, um den angekündigten Brief zu schreiben. Doch heute will ich nun meine Bewunderung für Ihr Krisenmanagement ausdrücken. Ich möchte auch deutlich dem Eindruck entgegenwirken, dass es sich hierbei um eine alternativlose Satire handelt. Das schreibe ich glasklar nicht nur hier und heute, denn der mündige Leser versteht dies auch morgen – und zwar schon beim Lesen des ersten Beispiels, dass wirklich vom guten Krisenmanagement zeugt, als in Island ein unaussprechlicher Vulkan ausgebrochen ist:
Lieber Herr Minister, Sie sind einfach ein guter Generalist und damit auch ein guter Chef. Sie haben das Große und Ganze im Blick - wie gute Chefs eben, die sich so jeder Arbeitnehmer wünscht - ein Chef, der die Detaillösungen den Spezialisten überlässt. Das war alles richtig, dass Sie den Experten nicht reingeredet hatten, als der Luftraum gesperrt wurde: Ich fand es also sehr klug, dass Sie während der Vulkankrise das nationale Krisenzentrum nahe Frankfurt nicht besucht hatten. So konnten dort die Flugsicherungsexperten ungestört arbeiten.
Herr Minister, damit wollte ich nicht sagen, dass Sie untätig waren. Damit wollte ich genau das Gegenteil sagen – nämlich, dass Sie zur Tat geschritten sind. Sie haben ja am Höhepunkt der Vulkankrise Ihr Berliner Verkehrsministerium verlassen, um ins heimatliche Bayern zu reisen. Dass es sich da um ein Wochenende gehandelt hat, war natürlich ganz ein blöder Zufall. Das ist aber auch wirklich unwichtig, denn Sie haben ja am Sonntag früh um 8 Uhr und 15 Minuten mit einem Herrn Mayrhofer telefoniert – einem Herrn, der das Flugverbot nach vier Tagen Himmelsruhe nicht einsehen wollte. Das nenne ich Einsatz, Herr Minister, denn so früh am Sonntag schlafe ich ja noch.
Ich darf Ihnen versichern, dass ich genauso gehandelt hätte: Wir sind ja Nachbarn, wohnen beide im Chiemgau und wissen deshalb, wie gesund das Chiemgau gerade in Krisenzeiten ist. Ich fahre dort auch immer hin, wenn es in meinem Betrieb raucht und qualmt, denn im Chiemgau ist die Luft einfach besser und man bekommt als Chef einen glasklaren Kopf. Vor allem aber gibt es dort Menschen, die einen verstehen.
Mein Chiemgauer Dorf hat beim Semmelholen alles verstanden, was Sie vorher im Fernsehen mit dem tollen Wortspiel ganz intelligent gesagt hatten: „Der Nachweis ... (der Asche ).... ist nachgewiesen!“ Stimmt wirklich, der Sonnenaufgang war am Samstag anders als üblich. Da waren wir uns beim Bäcker alle einig. Es gab zwar kleinere Meinungsverschiedenheiten über die Farbe des Sonnenaufgangs: War er nun eher grell gelb hell? Oder war er verschmutzt dreckig braun? Darüber kam es fast zum Streit, bis der Sepp dann meinte, dass auf den Autos ein gelblicher Staub liegen würde – Vulkanstaub also, Asche oder Lava, vielleicht sogar beides! Genaues weiß man nicht, sagte der Sepp, aber gelb war das Vulkanszeugs eben. Wenn der Sepp etwas sagt, dann muss es stimmen. Der Sepp ist nicht nur jeden Tag in den Bergen, sondern auch in der CSU. „Der Staub muss vom Vulkan gekommen sein, der in der Nacht im Chiemgau danieder gegangen ist“. Das hatte dann nicht der Sepp gesagt, sondern die Steffi. Sie meinte damit natürlich nicht den Vulkan, sondern nur den gelben Staub. Damit war aber klar: der Sonnenaufgang muss gelb gewesen sein und der Streit beim Bäcker war damit geschlichtet.
Ich habe dann selbst Untersuchungen vorgenommen. Ich habe meine Nase in diesen Staub gesteckt, in eine fremde Angelegenheit also. Das sollte man ja eigentlich nicht tun. Doch in diesem konkreten Fall war es richtig: Ich kann Ihnen versichern, lieber Herr Minister: Auch meine Nase hat den Nachweis sogar nasen-nachweislich technisch sauber erbracht, dass es sich bei dem Vulkanzeugs um einen lieblich riechenden Staub gehandelt haben muss - so ähnlich wie unser Frühjahrsblütenstaub, nur schmeckte er viel besser, irgendwie süßlicher. Sogar Bienen fanden den Staub zum Bestäuben lecker. Ich habe mir danach die Frage gestellt: Wie lecker und fruchtbar ist eigentlich Vulkanstaub? Aber mit dieser Frage komme ich vom Thema ab, denn der Staub ist nicht fruchtbar, sondern furchtbar.
Zurück zum Nachweis: Lieber Herr Minister, Sie waren damit viel schneller als ich mit meinem Hobby-Nasennachweis. Sie hatten Ihren Nachweis ja schon einen Tag vor mir. Da hatten Sie - wie ich bereits erwähnte - im Fernsehen gesagt, dass der Nachweis nachweislich nachgewiesen sei. Kannten Sie schon vorher die Ergebnisse des Versuchsfluges, der ja erst am folgenden Montag starten sollte und dessen Auswertungen erst am Mittwoch vorlagen? Sind Sie also ein Hellseher, Herr Minister, und können in die Zukunft blicken?
Verzeihung, sehr geehrter Herr Minister, ein übersinnlicher Hellseher sind Sie natürlich nicht. Ich möchte mich an dieser Stelle bei Ihnen entschuldigen, da ich gerade etwas Wesentliches verwechselt habe. Als Nachweisquelle meinten Sie natürlich diesen oberbayerischen Wetterballon, der zum ersten nachgewiesenen Nachweis der Aschewolke führte: Das war der Ballon, der öfters am Freitag am Hohen Peißenberg aufsteigt und dabei auch das Ozon misst. Und wir alle wissen ja: Ozon und Vulkanasche sind ja ungefähr das Selbe oder das Gleiche – je nachdem, wie wissenschaftlich man das nun betrachtet möchte.
Also, die Sache mit der Ballonmessung fand ich richtig gut. Sie haben sich bei der Sperrung des Luftraumes nicht nur auf das englische Computermodell und auf die täglichen Satellitenbilder verlassen, sondern auch auf diesen Wetterballon. Auch gut, dass Sie das im Fernsehen gesagt hatten, Herr Minister. Als Chef muss man manchmal so etwas glasklar sagen: Da hatte ja ein untergeordneter Meteorologe vom Deutschen Wetterdienst penetrant in allen Nachrichtensendungen etwas anderes behautptet: Man könne so viele Wetterballone aufsteigen lassen, wie man will - das würde nichts bringen. Diese Ballone könnten alles messen, nur keine Vulkanasche. Darf ein Meteorologe so etwas im Fernsehen einfach behaupten? Kann man einem solchen Meteorologen glauben? Eher nein, denn dieser Mann sah ja aus wie ein Mitglied der Alternativen Liste – der hatte einen Vollbart und ein T-Shirt. Sogar Grüne kleiden sich besser als dieser Mensch. Also, ich habe ihm nicht geglaubt. Später habe ich dann zwar in einer Zeitung gelesen, dass es wirklich nichts gebracht hätte, denn von ein dutzend deutscher Ballon-Laser-Messgeräten war nur eines einsatzbereit: eben dieses Gerät am Hohen Peißenberg. Die anderen Regionalgeräte wurden gerade alle gewartet. So etwas haben Journalisten geschrieben, aber denen sollte man auch nicht alles glauben.
Lieber Herr Minister, trotz der Erkenntnisse des Wetterballons wollten Sie vermutlich auf "Nummer Sicher gehen" und haben einen Versuchsflug angeordnet – und zwar sehr früh, schon zwei Tage nach Ausbruch der Vulkankrise. Der Flieger ist zwar dann erst am Montag gestartet, also fünf Tage nach Krisenausbruch und damit eher spät. Sie sind dafür kritisiert worden. Das war aber nicht Ihre Schuld und damit ungerecht. Hätten diese Kritiker doch besser recherchiert:
In Braunschweig stand für solche Zwecke ja ein neues Flugzeug bereit – eigentlich nagelneu, wenn man von ein paar vorherigen Starts und Landungen absieht. In dieses Flugzeug waren modernste Klima- und sonstige Messgeräte eingebaut - darunter auch Geräte, mit denen man nicht nur Ozon, sondern sogar Asche erfassen kann. Dieses Flugzeug war startklar, doch es fehlte ein Detail: die Betriebsgenehmigung – einen Genehmigung, auch mit Messgeräten fliegen zu dürfen. Es gab deshalb keine Starterlaubnis, obwohl das Flugzeug schon ein paar Mal ohne Messgeräte geflogen ist. Am Wochenende haben deshalb 70 Techniker und Ingenieure viele Geräte aus diesem Flugzeug ausgebaut. Diese Geräte wurden dann ins 600 Kilometer entfernte Oberpfaffenhofen transportiert. Dort wurden sie in ein 30 Jahre altes Flugzeug wieder eingebaut. Das war toll: Dieses alte Flugzeug hatte eine Betriebsgenehmigung! Da haben sich dann alle gefreut.
Doch bevor dieses Versuchsflugzeug am Montag Nachmittag starten durfte, hatte die Genehmigungsbehörden am Vormittag eine ganz andere und wirklich sehr pfiffige Idee (ist diese Idee eigentlich von Ihnen gekommen, Herr Minister?): Man erlaube es der Lufthansa oder der AirBerlin, trotz gesperrtem Luftraum herumzufliegen – und zwar mit vollbesetzten Passagierflugzeugen. Das nenne ich einen echten Praxistest. Denn wenn diese großen Jets mit ihren vielen Fluggästen wieder heil herunterkommen, dann kann dem Versuchsflugzeug mit seiner überschaubaren Besatzung eigentlich auch nichts passieren.
Ich habe aber bald verstanden, dass dies nicht Ihre Überlegung war, Herr Minister. Doch irgendwie würde es mich ja schon interessieren, an was Sie sich gedacht hatten, als der Vulkan-Wolken-Himmel für Instrumentenflüge gesperrt und für Sichtflüge freigegeben wurde? Hatten Sie dabei fürsorglich an die Piloten gedacht? Das könnte ja sein und würde ja irgendwie Sinn machen: Diese Piloten sind ja mit Ihrer Lufthansa unzufrieden, weil sie dort nur wenig mitreden dürfen. Deshalb wollen diese Flugzeugführer auch immer wieder streiken, streiken und nochmals streiken. Damit die Piloten endlich wieder zufriedene Menschen werden, wurde ihnen erlaubt, nach Sicht zu fliegen! Das war trotz gesperrtem Luftraum ab sofort möglich. Die Hobbypiloten fliegen schließlich auch nach Sicht, und Profis können bestimmt besser sehen als Propellerflieger, denn schließlich sind die Profis ja Berufspiloten, die sich auch einem Sehtest stellen müssen. Also, das war eine geniale Idee! Die Piloten hatten endlich ihre gewünschte Macht, denn nach Sichtflugregeln darf ihnen niemand reinreden - kein Politiker, kein Fluglotse und auch kein Herr Mayrhuber, den die Piloten ja nicht mögen. War das Ihr Gedanke, lieber Herr Minister?
Einige Piloten hatten ihre große Freude bei diesem Gedanken. Zumindest unser Chiemgauer Dorfpiloten. Der ist natürlich kein Dorfpilot, sondern ein echter Verkehrsflugzeugführer mit Lizenz. Der fliegt oft am Münchner Flughafen herum. Sein Flugzeug heisst Airbus und hat zwei Düsen. Damit düst er jährlich 900 Stunden durch ganz Europa. Dabei muss er immer nach Instrumenten fliegen. Das steht so in seinem Piloten-Handbuch. Nach Sicht fliegen darf er nicht. Doch jetzt darf er es ganz plötzlich. Darüber hat sich unser Dorfpilot gefreut: „Endlich kann ich zeigen, dass ich ein tollkühner Mann bin“, hat er uns beim Bäcker gesagt. Beim nächsten Flug von Frankfurt nach München möchte er zwischen den Cumuluswolken einen sportlichen Jetset-Slalom mit 850 Sachen hinlegen – per Joystick mit der linken Hand mal nach links und dann nach rechts wedeln und dabei niemals eine Wolke berühren, denn das darf er nach Sichtflugregeln nicht machen. Das sei eine sichere Sache, sagte er, denn es wären ja genügend Brechtüten an Bord, falls es einem Passagier beim Slalomfliegen übel werden sollte. Beim Landeanflug auf München möchte er dann noch nah am Atomkraftwerk Ohu vorbei fliegen, weil er die weiße Wolke aus dem Kühlturm schon immer interessant fand. Die möchte er sich deshalb mal genauer anschauen, sagte unser himmlischer Dorfpilot.
Doch bei uns erdlichen Dorfbewohnern blieben viele Fragen, ja sehr viele Fragen. Die wichtigste Frage stellte der Sepp: Lieber Pilot, wenn Du trotzdem durch dummen Zufall in die Aschewolke fliegst und beide Düsen fallen aus? Was machst du dann? Doch unser Chiemgauer Profi wusste natürlich Bescheid, lieber Herr Minister, was da zu antworten ist: Dann würde er einfach im sicheren Segelflug nach Sichtflugregeln landen. Das klappt bei den Segelfliegern weltweit täglich tausende Male, und auch auf unserem Chiemgauer Segelflughafen in Unterwössen geht das meistens gut. Alle Hobbypiloten seien bisher herunter gekommen, sagte er, also werden es die Profis auch schaffen: Runter kommen wir immer, sagte er dann nocheinmal. Ich überlegte kurz und musste ihm zustimmen.
Leider wurde unser Dorfpilot nicht zum Sichtflugdienst eingeteilt. Dem Sepp war das recht, denn er fühlte sich nicht wirklich sicher, als unser Pilot von seinen tollkühnen Vorhaben erzählte: Geht das wirklich gut, wenn schnelle Jets und langsame Hobbypiloten im gleichen Luftraum nach Sicht fliegen? Die Steffi stellte dagegen praktische Fragen: Wer hat da eigentlich Vorfahrt, wenn sich beide begegnen? Muss der Jet bremsen, weil er so schnell mit 800 Stundenkilometer daherfliegt? Oder bremst das kleine Segelflugzeug, welches gemütlich mit 80 Kilometer seine Kurven dreht? Da hatte der Bäcker dann auch eine Frage: Gilt bei Propellerflugzeugen eigentlich rechts vor links und Segelflugzeugen oben vor unten? Oder umgekehrt?
Lieber Herr Minister, ich habe mir ganz andere Fragen gestellt als der Sepp, die Steffi und der Bäcker. Meine Fragen waren viel intelligenter: Wissen diese Vulkan-Asche-Wolken-Partikelchen eigentlich Bescheid, dass sie nur den Jets gefährlich werden dürfen, aber nicht den kleinen Propellermaschinen und schon gar nicht den Chiemgauer Segelflugzeugen? Denn schließlich, lieber Herr Minister, galt Ihr Flugverbot ja nur für die großen Düsenflugzeuge, die von berufsmässigen Profipiloten gesteuert wurden. Für kleine Propeller- oder Segelflugzeugen mit den Hobbypiloten am Steuer galt das Flugverbot ja nicht. Diese Aschepartikelchen müssen also deshalb schon sehr intelligent sein. Sie müssen schnell lernen, wem sie gefährlich werden dürfen und wem nicht: dem Berufspiloten ja, dem Hobbypiloten nicht.
Herr Minister, sind diese Partikel eigentlich wirklich so klug und gebildet, solche Unterscheidungen zu machen? Schließlich kommen diese Partikel ja aus Island. Nach der Finanzkrise könnte man ja meinen, dass sie deshalb eher dumm statt klug sind. Denn die Isländer haben ja schon viele unkluge Sachen gemacht. Zuerst haben sie unsere verdiente Kohle verbrannt und jetzt schicken sie uns die Asche rüber - nur mal so nebenbei angemerkt. Schon wieder gibt es Milliarden Euro Schäden.
Herr Verkehrsminister, verzeihen sie meine unprofessionellen Deutungen. Aber so ein anderer Minister, den die Merkel ganz toll findet, muss sich auch solche komische Überlegungen gemacht haben. Der fand das nämlich gar nicht gut, dass trotz gesperrtem Flugraum plötzlich Düsenflugzeuge herumfliegen. Wenn da ein Flugzeug abstürzt, hat der Minister gewarnt, dann wäre die Wahl in Nordrheinwestfalen verloren – wegen hunderter Toten. Das habe ich mich auch gefragt: Was nützt es da, dass man wegen der Sichtflugregel einen Verantwortlichen hätte – nämlich den Piloten, der ein Segelflugzeug nicht gesehen hat? Die Bildzeitung würde dann vielleicht groß titeln: „Lufthansa-Pilot übersieht Vorfahrt: 200 Tote!“ Doch Nordrheinwestfalen wäre verloren, und das wäre ein echtes Drama. Schließlich waren nach Umfragen gerade in Nordrheinwestfalen weit über 60 Prozent für das Flugverbot, obwohl beim Sonntags-Grillen dort kein Mensch die Aschewolke gesehen hatte. Ein gutes Umfrageergebnis also.
Ja, jetzt musste man nur noch diese Aschewolke finden, an die alle glaubten - denn sie hatte sich ja mittlerweile über ganz Europa flächendeckend ausgebreitet, weil es ein Computermodell so wollte. Deswegen ist nach Ihrer Anweisung, Herr Minister, auch das Versuchsflugzeug gestartet - und zwar fünf Tage nach dem Ausbruch der Vulkankrise. Es flog von Oberpfaffenhofen nach Norden, es streifte dabei den Osten, es flog über Leipzig und später dann auch ein wenig nach Westen und sogar über die Beneluxstaaten, es flog aber natürlich auch über München – es war stundenlang in einem tausend Kilometer großen Luftraum unterwegs, um nach der Aschewolke zu suchen. Und es hat die Aschewolke dann auch gefunden. Das sagte der Versuchsleiter dann nach der Landung: „Die Wolke gibt es!“ Die Zuschauer des Tagesschau waren beruhigt: „Die Wolke gibt es wirklich!“ Und wir im Chiemgau waren noch beruhigter: „Die Wolke gibt es wirklich – und der Himmel war trotzdem blau!“
Am nächsten Tag, dem sechsten Tage nach dem Vulkanausbruch, schrieb der Versuchsleiter dann seinen ersten Kurzbericht. Er schrieb auf Englisch. Und da Sie als Minister ein Mann von Welt sind, haben Sie diesen englischen Bericht vermutlich besser verstanden als ich. Ich nämlich muss gestehen, dass Englisch nicht unbedingt meine Stärke ist. Ich habe nur soviel herausgelesen: Über Leipzig war die Aschekonzentration am höchsten und über München war die Wolke sogar doppelschichtig. Das einzige, was ich aber sofort verstanden hatte, war das Foto, das dem Bericht beilag. Da sah man ein paar weiße Wolken und im Hintergrund einen grauen Horizont. Das war aber nicht der Horizont, wie ich dachte, sondern das war die Aschewolke. Damit das auch jeder kapiert – also auch solche Leute wie ich, die kaum oder nur schlecht Englisch verstehen - haben die Wissenschaftler über diesen grauen Horizont auf gut Deutsch geschrieben: Aschewolke! Ja, da war sie also, die so lange gesuchte Aschewolke! Jetzt habe ich sie auch gesehen.
Lieber Herr Minister, ich denke, dass Sie sich über dieses Foto noch mehr gefreut haben als ich. Denn was wäre passiert, wenn die Wissenschaftler ohne Nachweisfoto zurückgekommen wären? Dann hätten Sie sich ganz schön blamiert: keine Aschewolke am blauen Himmel zu sehen. Mein Gott, wäre das peinlich gewesen. Zum Glück haben die Wissenschaftler aber nicht nur das Foto, sondern auch ein paar Messergebnisse mitgebracht und am siebten Tage nach dem Krisenausbruch auch ausgewertet. Man sei nicht „in der Wolke“, sondern „durch die Wolke“ geflogen, sagten die Wissenschaftler. Und durch die Wolke gemessen war die Konzentration der Asche über Leipzig offensichtlich am höchsten - fast so hoch, wie die täglich gemessene Feinstaubbelastung in der Landshuter Allee, wie später eine Münchner Zeitung schrieb. Wer diese Allee nicht kennt: Das ist eine Strasse mitten im Münchener Stau- und Berufsverkehr. Das ist wichtig zu wissen, denn über dieser Allee herrscht schon immer absolutes Flugverbot. Da durfte noch nie ein Airbus rüberfliegen. Damit war der Nachweis nun endgültig erbracht: Das Flugverbot in ganz Deutschland war absolut richtig! Ich habe es endlich verstanden.
Ich kann deshalb die Österreicher gar nicht verstehen. Die haben das Flugverbot ja schon einen ganzen Tag früher aufgehoben. Das haben Österreicher vermutlich nur deshalb gemacht, weil dieser Nicki Lauda das Flugverbot eben nicht verstand (für diejenigen, die Nicki Lauda nicht kennen: Er war mal ein Autorennfahrer, der immer im Kreis gefahren ist. Das fand er dann langweilig. Deshalb fliegt er heute Flugzeuge).
Ich will damit nicht sagen, dass der Nicki Lauda und die Österreicher komische Leute sind, Herr Minister, schließlich wohnen Sie ja wie ich nur wenige Luftkilometer von Salzburg entfernt. Doch was dort am Flughafen passierte, war ja schon beeindruckend. Dort durften Flieger starten, doch sie mussten nach dem Abheben sofort eine scharfe Rechtskurve machen, denn zwei Kilometer nach der Startbahn war sie ja: die bedrohliche Aschewolke! Sie trennte an der Landesgrenze das wolkenfreie Österreich von Deutschland! Hier war klare Luft, dort aber war die Wolke. Ein Computermodell hatte das genau ausgerechnet.
Es ist mir ein Rätsel, warum auch anderen Staaten den Luftraum schon früher freigaben, lieber Herr Minister. Sie hatten sich doch auf einer Telefonkonferenz auf ein gemeinsames Vorgehen geeinigt, oder? Doch da macht jeder Staat wieder sein eigenes Ding. Dabei fand es ja ganz toll, dass Sie sich schon fünf Tage nach Sperrung des Luftraumes mit Ihren 26 Kollegen zu dieser Konferenz verabredetet hatten. Das ging ja wirklich schnell! Wenn ich als Geschäftsführer meine 26 Kollegen einladen möchte, dann dauert das schon lange, bis alle mal Zeit haben für eine Telefon- und Videokonferenz. Da gibt es immer ganz viele Terminprobleme: Da will der eine nicht auf sein wohlverdientes Wochenende im schönen Oberbayern verzichten, da hat der andere keine Zeit, weil er zur Einweihung eines Bahnüberganges eingeladen worden ist, und der nächste kann erst in zwei Wochen, weil er sich heute um leise Autobahnen kümmern muss. Ich hätte also Wochen gebraucht, um 26 Kollegen gleichzeitig an die Strippe zu bekommen. Sie waren mit den fünf Tagen weltmeisterlich schnell. Das war goldmedaillenverdächtig.
Überhaupt, lieber Herr Minister, ich komme aus dem Schwärmen nicht mehr heraus. Was ich da letzte Woche im Spiegel gelesen hatte, hat mich besonders gefreut. Da sagten Sie, dass die Fluggesellschaften es versäumt hätten, sich rechtzeitig um Grenzwerte zu kümmern. Damit haben Sie mir aus dem Herzen gesprochen: Ich finde auch, dass wir uns alle selbst um Grenzwerte kümmern sollten – die Fluggesellschaften um Vulkangrenzwerte und wir Autofahrer um Geschwindigkeitsgrenzwerte. Das ist endlich ein richtiger Ansatz.
Und wie gut dieser Ansatz ist, sieht man auf der Autobahn A8. Sie führt ja in unser Chiemgau, lieber Herr Minister. Da darf man meistens nur 120 Stundenkilometer schnell fahren. Ihr Chauffeur hat sich darüber bestimmt auch schon geärgert. Der ist auch so ein Autofahrer wie ich. Und als Autofahrer halte ich diesen Grenzwert für ziemlich unbegründet und möchte deshalb einen anderen Grenzwert vorschlagen: 240 Stundenkilometer! Ihr Chauffeur versteht bestimmt meine Argumentation: Ich fahre eine Z4. Dieser BMW kann 240 Kilometer schnell fahren und ist damit fast so schnell wie Ihr Dienstauto, Herr Minister. Ich habe seit über 25 Jahren keinen Unfall gebaut. Meine Haftpflicht- und Vollkasko-Versicherung ist deshalb sehr billig. Ich habe auch keine Punkte in Flensburg. Deshalb bin ich mir ganz sicher, dass man den Grenzwert auf 240 Kilometer festlegen kann. Was meint Ihr Chauffeur dazu? Der hat doch bestimmt auch keine Punkte in Flensburg. Wir können ja noch ein paar andere Autofahrer fragen, den Sepp zum Beispiel oder die Steffi. Dann legen wir den neuen Grenzwert fest.
Lieber Herr Minister, Sie hatten ja schon in Ihrer Regierungserklärung die Sache mit den Grenzwerte im Blick. Da sagten Sie, dass „glasklare“ Regeln und Vorschriften zum „alternativlosen“ Flugverbot führten. Die Regeln und Vorschriften waren wirklich so glasklar, dass man einfach durchschauen konnte. Das war alles klar wie Glas: Keiner konnte diese Regeln sehen, und die Grenzwerte auch nicht. Deshalb fand ich es gut, dass Sie nach Ihrer Regierungserklärung alle deutschen Verantwortlichen ganz schnell zu einem Expertenrating geladen hatten. Da mussten dann alle kommen: Airlineleute, Wettervorhersager, Flugsicherungsmenschen und viele mehr. Es war ja eher eine Ladung statt einer Einladung. Aber richtig, nur so geht es. In Ihrer Eröffnungsrede haben Sie sich dann für europaweit (glasklare) Regeln und Vorschriften eingesetzt, falls mal in Europa wieder ein böser Vulkan ausbricht und Asche spuckt. Für diese Einigung wünsche ich Ihnen und Ihren 26 Kollegen viel Erfolg.
Es grüsst hochachtungsvoll
Ihr Chiemgauer Nachbar
Donnergeräusch
P.S.
Ich habe gerade im Fernsehen so einen Wissenschaftler gesehen, der da folgendes behauptet hat: Durch das Flugverbot seien in Europa hundertausende Flugpassagiere auf Autos umgestiegen. Dadurch hätte sich die Zahl der Verkehrstoten erhöht. Kann doch nicht sein, oder?