Alkoholisierung bei Piloten

Das deutsche Arbeitsrecht kennt nur 'gesund' oder 'krank', was im Hinblick auf die Fliegerei etwas an der Realität vorbei geht. Denn wenn ich mal wieder in einem der führenden Hotels der Welt eine Großbaustelle im Nebenzimmer habe und deshalb kaum bis garnicht schlafen kann und daraufhin die Firma anrufe und mitteile, dass ich nicht wie vorgeschrieben ausgeruht zum Dienst erscheinen kann, kommt reflexartig die Antwort: 'Sind Sie nun krank oder können Sie fliegen?. Damit dürfte dieser Teil Deiner Frage beantwortet sein...

Dazu hätte ich eine kleine Nachfrage, Max.
Und zwar durfte ich Anfang dieses Jahres einem Vortrag von Manfred Müller, eurem "Flugsicherheits-Anführer", zum Thema 'Risikovermeidung' lauschen.

Dort kam auch zur Sprache, dass sich ein Pilot bis soundsoviel Stunden vor Check-In ohne Konsequenzen fluguntauglich melden kann. Betonung auf fluguntauglich, nicht ausdrücklich "krank". Als Beispiel nannte er, dass sich ein Pilot wegen häuslichem Stress a.k.a. Eheprobleme fluguntauglich melden kann, wenn ihn diese so sehr belasten, dass er sich nicht in der Lage fühlt den jederzeit Flieger sicher zu steuern. In diesen Fällen würde dann eine Standby-Crew übernehmen, die LH hier und dort bereithält und sich einiges kosten lässt.

Hab ich alles falsch verstanden? Läuft das wirklich so? Ist das LH-Propaganda? *g* Oder ist das System doch ein bisschen straffer?
 
Auf dem normalen Dienstweg gibt es nur krank oder gesund. Punkt. Alles andere läuft hinter den Kulissen, mehr oder weniger dezent.

Bei Problemen in der von Dir angesprochenen Preisklasse führt der Weg nur über den Vorgesetzten, Flight Safety Department, CISM-Team oä. Da hängt dann allerdings auch ein ganzer Rattenschwanz an Folgemaßnahmen dran - einfach mal sagen 'Hab Streß daheim' und dann 2 Wochen ab an den Strand is nicht.

Andererseits kannst Du Dich natürlich auch einfach 'nur' krank melden, wenn Du einen DOC an der Hand hast, der Dir aus Verständnis für die Situation die enstprechenden Atteste schreibt.

Allerdings musste ich der Urlaubs-Vertretung meines Hausarztes schon mal recht deutlich machen, dass es nicht so sinnvoll ist, mit nem fetten Schnupfen fliegen zu gehen. Für nen Büromenschen unvorstellbar, dafür ne AU zu bekommen und scheinbar auch für manche Ärzte ein Problem.

Aber man kann die Ehe-Probleme ja auch zu seinen Gunsten ausnutzen. Neulich erzählte ein Kollege, der von der Firma in kurzer Zeit zum wiederholten male an einem freien Tag zu Hause angerufen wurde, wie es geht:

- Ehefrau briefen und ans Telefon gehen lassen
- Firma ruft an: Guuuuuten Tag Frau Soundso, hier ist der Creweinsatz, könnte ich bitte Ihren Mann sprechen?
- Ehefrau antwortet: Wieso? Der ist doch gerade fliegen. Oder nicht !?
- Firma: Aaaaaaaaach ja riiiiiiichtig, äh, äm, tschuldigung da muss ich wohl was verwechselt haben, schönen tag dann noch :blush::whistle::whistle:

Das ganze 2x und es hat NIE WIEDER jemand angerufen. Find ich saugeil!

Gruß MAX
 
wow, 0.2 Promille ist wirklich wenig.

Der Wert wird deshalb genannt, weil die Nachweisgrenze für Blutalkohol knapp unter 0,2 Promille liegt. Mit anderen Worten: Es darf auf keinen Fall unter Einfluss von Alkohol (oder Drogen) geflogen werden. Auch dann nicht, wenn der Alkoholgenuss nicht nachgewiesen werden kann, weil die Blutalkoholkonzentration unter 0,2 Promille liegt.
Das bedeutet, dass auch eine Schnapspraline vor dem Flugeinsatz tabu ist (obwohl man jetzt darüber streiten könnte, ob die überhaupt einen "Einfluß" ausübt).

Bekommt man eigentluich Ärger, wenn man bei LH Ops anruft, von wegen "ich habe vor drei Stunden ein paar Biere getrunken, und laut Plan beginnt mein Dienst in 4 Stunden.." Oder schiebt man da eher eine plötzliche Grippe, Migräne oder sonstiges vor? Tendenziell sollte es ja sogar reichen, wenn man sich einfach allgemein "nicht flugbereit" meldet, und den Grund dafür ganz weglässt...
Es ist schon etwas länger her, da gab es bei LH den Ausdruck "unfit to fly". Das beschrieb genau den fraglichen Zustand: nicht krank, aber auch nicht einsatzfähig. Wie MAX ja schon erklärt hat, gibt es inzwischen nur noch gesund oder krank.

Zur Grundsatzdiskussion über die charakterliche Eignung möchte ich sagen, dass es selbstverständlich auch unter Piloten menschliche Schwächen gibt. Wir sind genauso anfällig für Krankheiten und Suchtgefahren, wie alle anderen auch.
Wenn allerdings ein Mensch - egal ob Pilot oder nicht - "vergisst", dass er einen verantwortungsvollen und potenziell gefährlichen Beruf ausübt, der sich mit Alkohol nicht verträgt, und "aus Versehen" bis 4 Stunden vor Briefing an der Bar hockt und säuft (und das auch noch laut bekannt gibt), dann ist dieser Mensch bereits hochgradig alkoholkrank. Alkoholiker gibt es sicher auch unter Piloten, da brauchen wir gar nicht um den heißen Brei zu reden. Die sind aber - ebenso wie bei allen anderen Menschen - die große Ausnahme. In der Fliegerei hilft es, dass wir im Team arbeiten, und dass der Mitstreiter die Möglichkeit hat, den Kollegen am Fliegen zu hindern - notfalls, indem er selbst aussteigt.

Zur Eigenverantwortlichkeit eines Piloten gehört es, sich immer dann krank zu melden, wenn Zweifel an der Einsatzfähigkeit bestehen. Die Frage, ob es Ärger gibt, wenn der wahre Grund für die "Krankheit" persönliche Nachlässigkeit im Umgang mit Alkohol ist, erübrigt sich. Abgesehen von Berufskrankheiten und Arbeitsunfällen geht es den Arbeitgeber nämlich nichts an, welche Krankheit ein Arbeitnehmer hat.

Viele Grüße
Tschikago
 
In der Fliegerei hilft es, dass wir im Team arbeiten, und dass der Mitstreiter die Möglichkeit hat, den Kollegen am Fliegen zu hindern - notfalls, indem er selbst aussteigt ...
... oder - wie in Riem passiert - in Wien bei der Chefsekretärin anruft, die ihrerseits (anonym!) die Luftaufsicht in MUC anruft und mitteilt, daß der Chefpilot des Firmenflugzeugs "angeblich" den ganzen Abend getankt hat. Daraufhin gabs am Morgen erst eine Geruchskontrolle, dann mit Amtshilfe der Polizei einen Alkoholtest mit anschließendem Flugverbot. Da der Co nicht alleine fliegen durfte, mußte ein Ersatzpilot - gegen Bezahlung - gefunden werden. Der Fluggast - ein VIP aus Österreich - war erst ein wenig sauer über die mehrstündige Verzögerung, dann aber einsichtig und froh.
 
Das war sehr aufschlußreich, auch für mich, der meint, daß er mit Alkohol ganz gut umgehen kann. Und, daß dieser Artikel bei IFALPA stand, zeigt doch ziemlich deutlich, daß das Thema Alkoholgebrauch/Alkoholmißbrauch auch bei Piloten ein wichtiges Thema ist. Warum auch nicht? Schließlich sind Piloten keine Götter, tragen nur eben mehr Verantwortung als Schorse Meyer aus Bremen-Lesum, der bei Klöckner am Hochofen arbeitet.
 
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