Start ohne Flaps

Klaus

Mitglied
Hallo Zusammen,

die Diskussionen um die Spanair-Absturzursache haben mich bewegt, hier doch mal eine Frage an die Piloten zu stellen, die ich eigentlich schon länger "auf dem Zettel" hatte.

Kann ein Flugzeug, wie ein 320er oder eine 737 ohne Flaps starten? Obwohl ich recht viel und gerne fliege, bin ich doch vor dem Start etwas beruhigter, wenn ich das Geräsch der Flaps höre. Führt ein Start ohne Flaps zwangsläufig zum Crash oder haben die Piloten noch eine Chance die Flaps nachträglich auszufahren? Wie würdet Ihr Euch als Passagier verhalten, wenn Ihr seht, dass die Flaps vor dem Start noch eingefahren sind?

Viele Grüße
Klaus
 
http://www.mucforum.de/showpost.php?p=107323&postcount=2

Ergänzend:
Flügelklappen im engeren Sinne: Flaps, Hinterkantenklappen, dienen in den meisten
Bauformen der Vergrößerung der Flügelfläche und damit der Erhöhung des
Gesamtauftriebs bei geg. Geschwindigkeit und geg. Anströmwinkel.

Flügelklappen im weiteren Sinne: Slats, Vorderkantenklappen, dienen vorrangig der
Stabilisierung der Strömung und der Tolerabilität ggü. großen Anströmwinkeln.

Ein Jet-(verkehrs-)muster, das beim Start zugleich auf beide Einrichtungen
verzichten kann, fällt mir trotz Denkanstrengung nicht ein.

Ob im AOM der BAe146 für bestimmte Gewichte ein flapless T/O vorkommt, müßte
Max Reverse darlegen...

(legt er grad wohl schon dar... ;D)
 
Die Antwort lautet 'Eindeutig Jein'.

Wenn der Flieger leicht genug ist, der Platz tief genug liegt und die Luft kühl genug ist, dann könnte das klappen. Allerdings nur - und hier kommt das große aber - wenn man die Geschwindigkeiten für die Rotation und den Anfanggsteigflug entpsrechend erhöht.

Da dies aber bei einem angenommenen vergessen sicher nicht der Fall sein wird, wird das sicher ein 'interessanter Take-Off', wenn nicht schnell genug die Power auf TOGA nachgeschoben wird oder die Flaps ausgefahren werden.

Da aber mehrere Instanzen versagt haben müssen (Checklisten, Take-Off-Configuration-Warning) ist dieser Fall eher unwahrscheinlich.

Viel wahrscheinlicher ist eine anderen Konstellation. Z.B. wird auf dem A320 in 98% der Fälle mit CONFIG 1+F gestartet. Wenn die Performance mal zwickt, dann kann es aber auch CONFIG 2 oder 3 sein, z.B. voller Flieger in BRE (ca. 2.000 Meter TORA). Hierfür werden die Speeds berechnet (evtl. 20-30 Knoten niedriger) und auch das Gewicht könnte entsprechend hoch sein.

Hier ist dann im Eifer des Gefechts die Gefahr riesengroß, dass der Commander wie halt sonst immer 'After Start Items, Flaps 1' verlangt. Wenn der CM2 hier pennt, dann ist die Falle aufgestellt, denn die Config Warning checkt beim A320 unglaublicherweise nur, dass der Flap Lever mindestens in '1' steht, auch wenn im FMS richtigerweise '2' oder '3' eingegeben ist. Ich hänge mit immer einen GROOOOSSEN Zettel an den Flap Lever, wenn mit einer von '1' abweichenden Configuration gerechnet wurde. Ein paar Mal hat's schon geholfen;)

Gruß MAX
 
Also, ich hatte auch mal einen Start ohne Flaps mit nem LH A300 in FRA. Nachdems für mich das erste Mal war fand ich es damals auch recht ungewöhnlich, ehrlich gesagt war ich damals sogar ein wenig beunruhigt. Mein Vertrauen in die Kompetenz des LH Cockpits hat aber dann doch gesiegt (man verzeihe mir jetzt diese Formulierung, die eigentlich der LH Marketingabteilung entsprungen sein könnte, aber genau das war mein Gedanke :blush:).

Später habe ich dann hier erfahren (ich glaube @nabla hats erklärt), dass dies beim A300 aufgrund dessen Charakteristik sehr oft vorkommt und normal ist.

Was die Physik anbelangt so kann man generell sagen: "Alles fliegt, es muss nur schnell genug sein" (Auftrieb ist u.a. eine Funktion der Geschwindigkeit)
Insofern halte ich als Laie generell Starts ohne Flaps für möglich, man muss nur entsprechend schneller sein als mit Flaps.
Problematisch wirds halt nur wenn man die Vr mit Flaps kalkuliert aber dann ohne Flaps startet.
Die Experten mögen mich korrigieren....

Edit: Na ja, da waren schon Zwei schneller, bleibt also nur noch mein Outing als "LH Jünger" als einzige Neuigkeit :)
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich bin auch schon sehr oft mit dem A300, insbesondere von FRA nach MUC gefolgen. Ist es bei dem A300 nicht so, dass nur die Vorflügelausgefahren werden und hinten eine Art "Riesenflap" nach unten steht? Die eigentlichen hinteren Klappen habe ich beim A300 stehts eingefahren beim Start erlebt...

Danke insbesondere an Max für die Antworten. Im Ergebnis heißt das ja, dass sich ein Passagier melden sollte, wenn das Flugzeug den Startvorgang ohne jegliche Klappen beginnt. Wie schnell wäre hier überhaupt die Reaktionszeit der Crew? Vermutlich wäre es dann eh zu spät, denn bis die Info im Cockpit angkommt, hat der Flieger ja schon die Abhebegeschwindigkeit erreicht...
 
Danke insbesondere an Max für die Antworten. Im Ergebnis heißt das ja, dass sich ein Passagier melden sollte, wenn das Flugzeug den Startvorgang ohne jegliche Klappen beginnt.


Heißt es das wirklich? Wieviel Prozent der Passagiere in einem Flugzeug wissen verlässlich welche Klappenstellung für den Start erforderlich ist und welche Stellung die Klappen wirklich haben?

Kannst Dich sogar selber testen mit dem Foto anbei. Unmittelbar vor dem Start in Rimini mit einer Fokker 100 der Air Berlin. Sind die Klappen ausgefahren, sind sie es nicht oder kann man einfach nicht erkennen ob sie die richtige Position haben?
Um das zu beurteilen benötigt man schon Fachkenntnisse über die Fokker 100.

Es wurde schon in der Vergangenheit über die Problematik diskutiert wann man sich an die Crew wenden soll wegen evtl. vorhandene (oder auch nicht) Probleme. Der Großteil der Passagiere wird die Situation sicher nicht richtig einschätzen können (siehe unsere Diskussion über die Vereisung der 737NG-Tragflächen vor dem Start) und einen Fehlalarm nach vorne liefern. Und bei zuviel Fehlalarme wird man nach einiger Zeit die Alarme eher lästig finden als hilfreich.
 

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Hallo....

also, ich würde als Laie nen Teufel tun und den Profis
irgendwie reinreden,
das gäbe ein nerviges Durcheinander, wenn jeder PAX
"Auffälligkeiten " meldet.
Hab das mal erlebt - da hat angeblich in der Luft ein
Flügel "gewackelt" der war "lose"
gab ein Riesenaufstand mit erregter Diskussion:dead:
mit dem besorgten Fluggast
 
...oder kann man einfach nicht erkennen ob sie die richtige Position haben?
Dies ist die entscheidende Frage.

Übrigens ist die Fokker 70/100 ein Kandidat für das gesuchte Jetmuster für einen Start ohne
Auftriebshilfen, obwohl ich meine Hand nicht ins Feuer lege für die eventuelle Behauptung, auf diesem
Bild wären die Flaps eingefahren.

Um den ersten Teil von Max' Antwort zuzuspitzen: Es kann unter gewissen Umständen gutgehen, ein
nicht dafür vorgesehenes (designtes) Flugzeug ohne Auftriebshilfen unter Wahrung der
Lufttüchtigkeit in die Luft zu bekommen, d.h. wir sprechen über eine wirkliche Herausforderung
('interessanter Take-Off') für Praktiker, für die meisten Muster ist es allerdings schlicht
konstruktionsbedingt und zulassungsbedingt nicht vorgesehen und man begibt sich in einen Flugzustand
- oder "Flug"zustand, je nachdem - der kein definierter mehr ist: die Geschwindigkeiten stimmen nicht,
der Anstellwinkel des Profils stimmt nicht, die Heckfreiheit bei der Rotation stimmt nicht, das Flugzeug
beschleunigt anders... Für solche Bedingungen ist insbesondere die Hindernissituation im Abflugsektor
nicht bewertet, d.h. man ist mit einiger Sicherheit mit erfolgtem Abheben mit einiger Sicherheit nicht
sofort aus der Gefahrenzone.

Ach so - das Beispiel schlechthin habe ich natürlich übersehen:

die Concorde: Keine Auftriebshilfen - aber Nachbrenner.

"Alles fliegt, ...
 
Ich hatte zunächst gar nicht an diese beiden gedacht, weil ihre Designspeed deutlich
höher liegt als die des BAe146-Profils. Möglicherweise liegt der Grund in der relativ
günstigen Flächenbelastung der Fokker-Varianten, anders gesagt: deren Flügel ist ein
wenig überdimensioniert, gemessen an normal ausgebauten Verkehrsflughäfen.
Müßte man jetzt noch Informationen über den DO-328-Jet einholen...
 
Ich habe mal ein wenige gerechnet, um einige Beispiele zu erhalten.

Ich habe jeweils einen 'leichten' (DOW + 5 to) und einen 'mittel-schweren' (MLW) Flieger verglichen, jeweils A319/A320/A321. Die Ergebnisse sind tendentiell gewichts- und musternuabhängig.

Beispiel: A320, 64to

Die Vs clean (Stallspeed clean configuration) liegt bei etwa 163 Knoten. Typische Abhebegeschwindigkeiten bei ISA-Bedingungen auf einer 3.000+ m Bahn in Meereshöhe lägen bei etwa 140-145 Knoten.

Man sieht also, dass etwa 20 Knoten 'fehlen' damit der Flieger ohne Klappen überhaupt fliegen kann und selbst wenn man sich die 20 Knoten noch irgendwie 'ergaunert' dann fliegt der Flieger gerade eben so, mit einer irre hohen Pitch.

Fazit: Dürfte eng werden.

Auf einem AVRO sieht die Sache wegen des komplett anderen Flügelprofils sicher anders aus. Müsste mal auf dem Dachboden meine alten Unterlagen raussuchen...

Gruß MAX
 
Auch nochmal hierzu, aber andersrum:

Was ist die bessere Wahl bei starkem Gegenwind und schwerem Flieger,
mehr Flaps (mehr Luftwiederstand - weniger Beschleunigung, aber niedrigere Vr) oder weniger Flaps (weniger Luftwiederstand beim beschleunigen, aber auch höhere Vr)?

Und wie siehts bei einer hohen Seitenwindkomponente aus? Dem Wind mit mehr Flaps mehr Angriffsfläche zu bieten, ist wahrscheinlich weniger ideal, oder?
 
Ergibt eine V2min von 196 Knoten.

Nett.

Max. Tire Speed ist übrigens 195 Knoten, bei derartigen Szenarien auch immer bedenkenswert. :rolleyes:

Auch nochmal hierzu, aber andersrum:

Was ist die bessere Wahl bei starkem Gegenwind und schwerem Flieger,
mehr Flaps (mehr Luftwiederstand - weniger Beschleunigung, aber niedrigere Vr) oder weniger Flaps (weniger Luftwiederstand beim beschleunigen, aber auch höhere Vr)?

Und wie siehts bei einer hohen Seitenwindkomponente aus? Dem Wind mit mehr Flaps mehr Angriffsfläche zu bieten, ist wahrscheinlich weniger ideal, oder?

Hier gibt das jeweilige Operations Manual des Fliegerchens/Operators Auskunft und ist natürlich bindend, daher kann man eigentlich keine allgemeingültige Antwort geben.

Es gelten aber natürlich die Grundsätze aus der Kleinfliegere (viel Wind oder viel Seitenwind - möglichst wenig Flaps) auch für großes Gerät, denn die Physik ist ja die gleiche.

Da bei viel Wind meistens auch Turbulenzen/Windscherungen vorhanden sind oder im Zweifelsfall zu erwarten sein könnten, kann man sich mit dieser Hilfskonstruktion aus dem Kapitel 'Windshear' zumeist behelfen und damit weniger Flaps und ggf. einen kleinen Speedaufschlag benutzen.

Gruß MAX
 
@maxreverse
Im Zuge der Spekulationen um den Spanairunfall sind deine Informationen natürlich sehr interessant.
Wie muss man sich das denn vorstellen im Cockpit, wenn Vr erreicht wird aber die Klappen nicht ausgefahren sind?
Merkt man das irgendwie im Handling vom Flieger? Das er sich irgendwie "sträubt" abzuheben.
Oder geht evtl. nur die Nase hoch und der Arsch klebt am Boden?
Wie schnell kann man denn dann noch reagieren, wenn man pünktlich zu Vr merkt, dass die Klappen nicht gesetzt sind? Gasgeben? Startabbruch? Klappen noch ausfahren?

Vielleicht kannst du dazu was sagen?
 
Spekulieren will ich zwar ganz bewußt nicht und da (wie schon gesagt) mehrere Mechanismen versagt haben müssen, damit man erst bei der Rotation merkt, dass keine Klappen gesetzt sind, wird ein solches Szenario sowie die möglichen Reaktionen nicht trainiert und ich müsste raten, wie sich eine bestimmte Besatzung in dieser Situation verhalten würde.

Gasgeben hilft nicht direkt, da wir ja kein Schub- sondern ein Auftriebsproblem haben.

Ein Startabbruch ist eine mögliche Option. 'Aircraft not flyable' ist der einzige Grund nach V1 noch den Start abzubrechen, allerdings im vollen Bewußtsein eines sicheren 'Overruns' mit erheblicher Geschwindigkeit, sofern es sich um eine Take-Off mit 'balanced Field Lenght' handelt.

Da die Wirkung des Höhenruders nicht vom Flapsetting abhängig ist, wäre es sicherlich, den Flieger zu rotieren. Ob aber selbst eine Rotation bis zum Aufsetzen des Tails genügen Lift produziert, um in die Luft zu kommen und wie es danach weiterginge ist vom Einzelfall abhängig und somit spekulativ.

Gruß MAX
 
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