Vor dem Start Auckland - Queenstown
Ich möchte auch mal sparsam sein und verzichte deshalb, mit dem Taxi zum Flughafen zu fahren. Der Airportbus von Auckland tut es sicherlich auch, denke ich mir. Aber vielleicht soll ich nicht soviel denken, denn das kann ganz schön schief gehen. So denke ich mir erstens, dass der Bus wohl etwa 30 Minuten zum Flughafen brauchen wird - etwas länger als ein Taxi also. Zweitens denke ich mir, dass er nonstop zum Airport fährt. Drittens denke ich mir, dass er alle 20 Minuten losfährt - ganz nahe am Hilton, wo ich gestern die Busstation ohne fremde Hilfe selbständig entdeckt habe. Es müsste also reichen, wenn ich um 8 Uhr morgens an dieser Bushaltestelle stehe. Da ist dann nach meiner Zeitrechnung genügend Puffer drin, denn mein Flieger nach Queenstown geht so kurz nach 10 Uhr herum, denke ich mir.
Ich bin pünktlich um 8 Uhr an dieser Bushaltestelle. Aber der Bus ist nicht pünktlich. Ich schaue mir den Fahrplan etwas genauer an: alle 20 Minuten steht da gross geschrieben. Das habe ich mir also richtig gemerkt. Also lese ich das Kleingedruckte: Ab 5:55 a.m alle 20 Minuten, Fahrdauer zum Flughafen ca. 45 Minuten. Aha, ich muss also noch eine Weile warten - und es dauert länger als 30 Minuten. Wie gut, dass ich mir den Zeitpuffer eingeplant habe. Als geübter Vielflieger weiss man, wie wichtig ausreichende Zeitpuffer sind, um entspannt zum Flieger zu kommen.
8:10 Uhr. Gleich wird der Airportbus kommen. 8:13 Uhr: Ist es schon dieser gelbe Bus da vorne? 8:15 Uhr: Dies muss jetzt der Bus sein. 8:16 Uhr: Warum hält er nicht? 8:18 Uhr: Aber jetzt, der grüne Bus dort ist es bestimmt! 8:20 Uhr: Soll ich mir doch besser ein Taxi nehmen? 8:22 Uhr: Wenn es dieser blaue Bus nicht ist, dann suche ich mir ein Taxi! 8:23 Uhr: Das Warten hat sich gelohnt. Der blaue Flughafenbus hält vor mir. So komme ich für 11 neuseeländische Dollar billig zum Flughafen. Und von der Zeit reicht es ja noch, denke ich mir. Ich bin ja ein erfahrener Vielflieger, der sich in der Welt auskennt und weiss, was alles passieren kann und deshalb immer rechtzeitig losfährt und Zeitpuffer einplant.
Ich hab das Fahrgeld passend. Das Bezahlen geht schnell. Doch meine Mitfahrer (fast alles Backpackers, zu denen ich ja vor 25 Jahren auch mal gehörte) haben es nicht passend. Das dauert. Einer der Rucksacktouristen will sogar mit seiner Kreditkarte im Bus bezahlen. Das geht gar nicht. Damals schon gar nicht und heute auch nicht. Gefühlte 5 Minuten später fahren wir los. Und nach gefühlten 30 Sekunden stoppen wir schon ein paar Metern weiter, obwohl die Ampel grün ist: Der Fahrer öffnet die Türe, es steigen Fahrgäste ein. Manche haben das Ticketgeld passend, manche nicht. Gefühlte 5 Minuten dauert es wieder, bis wir weiterfahren.
Der Busfahrer entdeckt viele Seitenstrassen, in die er reinfahren kann, weil auch dort jemand warten könnte, der zum Flughafen will. Manchmal warten an den vielen Haltestellen tatsächlich Leute, manchmal war der Umweg umsonst. Sogar den Christlichen Verein junger Männer (YMCA) steuert er an: Dort erwarte ich jetzt eine ganze Horde gläubiger Jesu-Backpackers, aber niemand will zusteigen. Ist wohl noch zu früh, um gleich in den neuseeländischen Himmel zu fliegen.
Die Zeit vergeht. Bestimmt 10 Haltestationen fährt der Bus ab - und das mitten im Berufsverkehr. Stop and go. Ich schalte im minutentakt mein IPhone ein und frage es nach der aktuellen Uhrzeit. Es ist mein einziger Chronometer, denn neben Nagel(p)feilen habe ich eine zweite Marotte: Ich habe noch nie eine Armbanduhr besessen. Kurz vor 9 Uhr ist es, sagt mir mein IPhone. Fast 9 Uhr, und wir sind noch immer in Auckland. Das wird knapp, doch es wird reichen. Ich habe ja als alter Weltreisender einen Zeitpuffer eingeplant, denke ich mir. Aber Denken ist doch manchmal echte Glücksache.
Endlich scheint es jetzt nonstop zum Flughafen zu gehen. Der Bus hat nun seine Reisegeschwindigkeit von 50 Kilometer erreicht. Er hält dieses Tempo auch konstant, bis er nun auf die Autobahn fährt (was er schon dreimal hätte tun können). Dort kann er jetzt sicherlich auf 100 Kilometer beschleunigen, denke ich mir. Doch genau bei diesem Gedanken schiesst mir Adrinalin in mein Blut und von dort in den Kopf, denn meine Augen melden ein Alarmsignal an mein Hirn: Stau, so weit das Auge reicht - Stau auf dieser Autobahn Richtung Flughafen. Und der Busfahrer fährt da trotzdem voll rein in den Stau, satt weiter langsam auf der Stadtstrasse zum Flughafen zu fahren. Hat er keine Augen ?
Mit meinem Adrenalin im Kopf renne ich nach vorn zum Busfahrer: "Wie lange brauchen wir noch zum Flughafen?" 15 Minuten verstehe ich und wiederhole, ob ich es auch richtig verstanden habe: Nur 15 Minuten? "Nein, 50 Minuten dauert es, vielleicht aber auch eine Stunde. Oder eine Stunde und 15 Minuten.", sagt der Busfahrer gelassen und zuckt mit den Achseln: "Da ist heute morgen an der Autobahnbaustelle ein grosser Unfall passiert, und seitdem geht nichts mehr...." . Ich höre verblüfft zu: "Ja warum haben Sie uns das nicht bei der Abfahrt gesagt?" Ich hätte sonst ein Taxis genommen. "Weil niemand gefragt hat", sagt der Busfahrer ruhig und verschränkt seine Arme auf dem Lenkrad, weil gerade nichts vorangeht. Mein Kopf wird rot. Doch Aufregen nützt ja nichts. Ich will jetzt einfach wissen, was für ein Psychogramm dieser Busfahrer hat. Deshalb frage ich so ruhig wie ein Therapeut mit meiner senoren Stimme: Und warum fahren Sie jetzt auf die verstopfte Autobahn statt uns über die Stadtstrasse zum Flughafen zu bringen? "Weil ich das so tun muss, weil das auf meinem Plan steht, weil ich das jeden Tag so mache, weil man mir das gesagt hat, weil das unsere gewohnte Route ist, weil es über die Stadtstrasse für gewöhnlich länger dauert .... " Irgendeine dieser Antworten hat der Busfahrer mir gegeben. Genau weiss ich es nicht mehr. Es war auf jeden Fall eine typisch neuseeländische Antwort, irgendwie very british, ja eigentlich bayerisch sogar: Der Busfahrer kam mir vor, wie ein obrigkeitshöriger Münchner Busfahrer, der am liebsten wieder einen König und viele Lebensregeln in Bayern hätte, nachdem ihm die CSU jetzt keinen Ersatzkönig mehr zu bieten hat.
Ich setze mich wieder brav auf meine Platz und harre der Dinge des Lebens. Es geht mit 5 Kilometer voran. Stop and go. Ich halte Ausschau, ob ich erste Indizien entdecke, die auf das baldige Erreichen eines internationalen Flughafens schliessen lassen. Zu diesen Indizien gehören derzeit weltweit zum Beispiel haushohe Werbeschilder von Emirates oder Airporthotels am Rand der Strasse. Oder irgendwelche Cargohallen, die nach Luftfracht aussehen. Oder einfach nur ein Flugzeug, dass man entweder starten oder landen sieht. Ich sehe nichts dergleichen. Ich gebe innerlich auf.
Den Flug nach Queenstown erreiche ich nicht mehr, denke ich mir. Schade. Dabei habe ich mich so gefreut, schon Mittags in Queenstown zu sein. Dann hätte ich den ganzen Nachmittag für mich gehabt. Ich hätte mit der Seilbahn auf den Hausberg von Queenstown fahren können, ich hätte oben eine Wanderung machen können, ich hätte mich also bei frischer Bergluft erholen können. Das soll ganz gesund und entspannend sein. Und ich denke mir: Vermutlich geht heute kein Nonstopflieger mehr nach Queenstown, vermutlich muss ich in Christchurch umsteigen, vermutlich bin ich erst abends in meinem Hotel... Schade.
Doch wie aus heiterem Himmel lese ich plötzlich ein Schild: "Auckland International Airport". Dabei habe ich wirklich kein einziges Indiz gesehen, welches auf einen Flughafen geschlossen hätte. Ein paar Kurven im Kreisverkehr noch, und wir sind am Terminal. Ich stehe schon sprungbereit im Bus am Ausgang - mit meinem Rollkoffer und meinem Handgepäck. Es ist kurz vor 10 Uhr. Ich probiere es, vielleicht habe ich ja Glück. Ich renne, ich schwitze dabei, ich renne ins Terminal. Eine grosse Schlange befindet sich vor allen Economy Schaltern. Und ich fliege Economy, weil es nach Queenstown ja gar nichts anderes im Angebot gibt. Ich orientiere mich kurz. Ich sehe einen einzigen Schalter von Air New Zealand, wo keiner ansteht, kein einziger Mensch. Das ist meine Chance. Ein roter Teppich ist vor dem Schalter ausgerollt. Sowas kommt mir bekannt vor. Club, Executive, Member oder so was ähnliches steht über dem Schalter. Mir egal. Vielleicht hilft mein wertvoll aussehendes Lufthansa Kärtchen. Ich lege es auf den Tresen, bevor ich der Schalter-Dame (auch schon mit grauem Haar, also in meinem Alter) beginne, meine Geschichte von dem bösen Busfahrer zu erzählen. Sie schaut sich nicht das Kärtchen an, sondern legt ihre Hand auf meine und sagt ruhig: "Entspannen Sie sich. Kein Problem, jetzt haben Sie es ja noch geschafft, das Flugzeug ist noch nicht in der Luft, das Boarding ist noch nicht beendet. Aber bitte entspannen Sie sich."
Ich muss auf Sie wohl sehr unentspannt wirken. Wie aber auch Entspannen? Nicht nach so einer Busfahrt! Und Entspannen, wenn schon das Boarding läuft und ich noch durch die Kontrolle muss? Geht wirklich nicht, so kann ich mich nicht entspannen. Ich renne zur Fummelkontrolle und drängle mich diplomatisch charmant vor. Schliesslich muss ich ja ins Flugzeug, ich! Ich renne direkt zum Gate und will in den Flugsteig rein, aber die Tür ist schon zu. Doch zu spät, schiesst es mir sofort durch den Kopf. Ich habe es also nicht mehr geschafft. Ich gucke mir die beiden Boden-Stewardessen an und lege mir eine Argumentation zurecht, wie ich es trotzdem noch schaffen könnte, in das Flugzeug zu kommen, obwohl das Boarding schon beendet und die Türen geschlossen sind. Ich werde einfach sagen, dass mein Koffer an Bord ist. Der hat es noch geschafft, werde ich sagen. Den Gepäckschein habe ich ja. Und ohne Passagier darf ja ein Koffer nicht fliegen, denke ich mir.
Doch Denken ist manchmal Glückssache: "Sir", sagt eine der beiden Boden-Stewardessen streng: "Sir, bitte warten Sie wie alle anderen auch, bis wir mit dem Boarding beginnen!"
Ich drehe mich um und sehe, dass gut 100 Passagiere im Warteraum sitzen und neuseeländisch geduldig warten, warten und warten. Gute 10 Minuten darf ich auch noch warten, gut 10 Minuten versuche ich, mich zu entspannen. Das ist nicht so einfach. Das Boarding begnnt: Zuerst Frauen mit Kinder und ältere Menschen, dann die hinteren Reihen, also auch ich, denn ich sitze diesmal hinten: Sitz 19 A. Hauptsache ich bin an Bord, Hauptsache ich sitze. Egal wo. 19 A ist ok. Jetzt muss diese Boeing 737 der Air New Zeeland nur noch starten, und dann bin ich wieder glücklich und bestimmt bald vollkommen entspannt ....