munich
Schneekönig
Es ist eigentlich keine Frage an unsere Piloten, ich finde aber dass es einfach hier her passt und uns wieder einmal zeigt, dass Fliegen auch in den "Atari-Fliegern" trotzdem mehr ist, als nur "Knöpfchendrücken". (Ausserdem ergibt sich vielleicht auch eine ganz interessante Diskussion.)
Im schweizer ILS-Forum steht hierzu dieser äusserst interessante Bericht über die Bremserei mit dem Flugzeug. Ich kopiere ihn mal hier her, da ich nicht weiß ob man sich, um den Bericht zu lesen, erst im schweizer Forum anmelden muss. (Ich hoffe Markus als Verfasser dieses äusserst gelungenen Artikels, nimmt mir das nicht übel.)
Im schweizer ILS-Forum steht hierzu dieser äusserst interessante Bericht über die Bremserei mit dem Flugzeug. Ich kopiere ihn mal hier her, da ich nicht weiß ob man sich, um den Bericht zu lesen, erst im schweizer Forum anmelden muss. (Ich hoffe Markus als Verfasser dieses äusserst gelungenen Artikels, nimmt mir das nicht übel.)
Markus alias Webwings hat gesagt.:Hallo Martin,
falls das Wetter bei Dir gleich schlecht ist wie bei uns und Du einen ganzen Nachmittag Zeit für Theorien hast, bitte sehr![]()
Du hast bei modernen Jets normalerweise drei Bremssysteme, und alle haben ihre Limitationen.
1) Ground Spoilers, Lift Dumpers oder wie sie auch sonst noch - je nach Flugzeugtyp - heissen mögen. Die werden sowieso immer benützt. Sie unterliegen fast keinen Limitationen ausser dass sie im Falle eines Touch and Go's natürlich drin bleiben, z.B: beim Landetraining, oder im Falle von Hydraulikproblemem teilweise nicht zur Verfügung stehen.
2) Reverser. Sie wirken nach dem Motto "je höher die Geschwindigkeit, umso effektiver". Darum werden sie meist so schnell wie möglich nach dem Hauptfahrwerk-Touchdown aktiviert, und so lange wie nötig genutzt.
Limitationen:3) Radbremsen: Sie wandeln Bewegungsenergie (kinetisch) in Reibungswärme um. Fahr mal mit der flachen Hand über einen Tisch - autsch, heiss. Das war ca. ein Kilogramm Masse, das von 0.5 Knoten auf Null gebremst wurde. Werden nun 65 Tonnen A320 mit vier Radbremsen von 140kt auf Null gebremst, kann man sich vorstellen, wieviel Wärme da produziert wird. Sie werden daher mit Vorteil erst dann eingesetzt, wenn die Ground Spoiler und die Reverser nicht mehr viel nützen, sprich unter 80-100kt. Bei modernen Carbonbremsen sind (in aufsteigender Reihenfolge) die schonendsten Bremsmöglichkeiten: Autobrake wenig – Autobrake mittel –Autobrake stark – Max Manual Braking – Autobrake RTO/MAX.
- gesetzlicher Natur: beispielsweise verlangen einige Flughäfen wie Zürich, dass man zu bestimmten Tageszeiten nur noch maximal "idle Reverse" verwendet, d.h. Schubumkehrtore zwar offen, aber nur der Leerlauf-Abgasstrahl wird zum Bremsen verwendet. Dies ist nicht so laut wie "full reverse", wo nochmals ziemlich kräftig Schub gegeben wird, und somit die Bremswirkung ein vielfaches effektiver ist)
- betrieblicher Natur: Je nach Bauart und Position am Flugzeug sind Reverser Limitationen unterworfen. Viele Reverser wirbeln mit der abgelenkten Luft am Boden Staub, Steine und andere "FOD" auf, die dann bei geringen Geschwindigkeiten wieder vom Triebwerk angesaugt werden und zu massiven Schäden führen können. Ebenfalls ungesund ist das Ansaugen der eigenen heissen Luft, was zu Triebwerkstalls führen kann. Daher ist bei den meisten Flugzeugen unter 70kt kein Full Reverse mehr erlaubt, Idle Reverse darf man jedoch normalerweise bis zur Taxi Speed brauchen.
- konstruktiver Natur: Es gibt Schubumkehrsysteme mit "Bechern", die den gesamten Abgasstrahl umleiten (beispielsweise die alten Triebwerke auf DC-9 und 737-200). Mit diesen Triebwerken ist es technisch möglich, sogar "powerback" zu machen, also mit einem Flugzeug rückwärts zu rollen. Ein schönes Beispiel: Die DC-9 Powerbacks bei Northwest (Bild hier). Aber wehe, wenn man selbst aufgewirbeltes Eis oder Steine ansaugt... hier (Bild) so eine grobe Idee, wie das zur Sache gehen kann. Bei vielen modernen Fantriebwerken wird nur noch ein Teil des gesamten Luftdurchsatzes abgelenkt. Ein Teil der Luft geht hier ganz normal "hinten raus", und stösst das Flugzeug also wieder nach vorn, weshalb Powerbacks hier meist nicht funktionieren.
Limitationen:Mit all diesen Fakten und Fragen schlägt man sich als Pilot vor dem Approach Briefing herum.
- technischer Natur: Werden Bremsen zu heiss, können sie keine Energie mehr aufnehmen. Sie bremsen nicht mehr, und beginnen im schlimmsten Fall zu brennen. Irgendwann werden die Bremsen derart heiss, dass ihre Hitze über die Achse an die Felgen weitergeht, und sich diese ebenfalls derart erhitzen, dass die Sicherheitsventile schmelzen (das sieht so aus). Selbst wenn man unter der kritischen Temperatur bleibt, müssen die Bremsen bei hohen Temepraturen mit sogenannten Brake Fans (Lüfter auf den Achsen) gekühlt werden. Dass das Metall der Achse dies ungemein liebt, innert Sekunden auf 400 Grad geheizt zu werden, um nachher gleich wieder die nur wenige Grad kalte Flughafenluft um die Ohren geblasen zu kriegen, kann man sich vorstellen. Also auch unvernünftig, wenn man sie ständig braucht.
- operationeller Natur: Ein Start ist nicht erlaubt, wenn die Bremsen heisser als ein bestimmter Wert sind. Sie könnten dann nicht mehr die Energie eine Startabbruchs bei voller Fahrt aufnehmen, sondern würden vorher nicht mehr bremsen oder gar brennen. Dies bedeutet auf Flugzeugen ohne Brake Fan (z.B. B737), dass man warten muss, bis die Bremsen wieder genügend abgekühlt sind bevor man startet. Wenn Du nun bei einem Low Cost Operator arbeitest, der in 20 Minuten sein Flugzeug "umdrehen" will, ist dies ein echtes Problem (siehe Beispiel unten).
Und nun zur Antwort auf Deine Frage, mit einem Beispiel:
- wie lange ist die Bahn?
- ist sie trocken, nass, verschneit vereist, rutschig? Wie gut „hält“ sie? (Münchens Bahnen sind beispielsweise sehr rutschig, wenn die Bahn nass ist. Andere Flughäfen putzen den Gummiabrieb in den Touchdownzonen nie weg, weshalb es da vielfach sehr rutschig ist)
- wo würde ich am liebsten abrollen? (wo steht das Terminal? Ist es ganz am Ende der Bahn, bremse ich nicht wie ein Stier.)
- was geht an meinem Flugzeug nicht (kann ja sein, dass ein Reverser heute von der Maintenance als INOP gezeichnet wurde, oder wegen Hydraulikproblemen Autobrake nicht funktioniert)
- wie schnell geht der Flieger wieder raus? Steht er über Nacht, kann man die Bremsen ruhig etwas heisser machen, die kühlen dann wieder ab. Aber will in 20 Minuten die nächste Crew mit dem Flieger starten, bist Du auf deren Blacklist, wenn Du ihnen den Flieger mit über 300 Grad heissen Bremsen hinstellst.
Wir lassen eine volle B737-800 (ca. 66t) im Sommer bei 25°C auf der Piste 28 in Zürich landen und bremsen beherzt (man will ja in der Mitte der Runway abrollen und schnell zum Terminal). Sie schwebt mit ca. 140kt rein.Wenn man sauber in den ersten 300 Metern der Piste landet, steht man bei trockener Bahn mit dieser optimalen Kombination bei den meisten Flugzeugtypen nach rund 1400-1800 Metern. Grund für diese Kombination: Man lässt die einzelnen Bremstypen dort arbeiten, wo sie am effektivsten sind. Reverser im hohen Geschwindigkeitsbereich bis ca. 70 Knoten, die Radbremsen ab ca. 100 Knoten bis zur Taxispeed.
- Verwendet man nur Autobrake 3, lädt man rund 32 Millionen Footpound Bremsenergie auf. Wir müssen nach der Landung die Bremsen etwa 60 Minuten abkühlen lassen, bevor wir wieder starten dürfen. Schade für den Low Cost Operator, der in 20 Minuten wieder in der Luft sein wollte.
- Wir verwenden Autobrake 3 und vollen Reverse Thrust (die Anwohner werden’s danken), dann laden wir noch immer rund 21 Millionen FP auf. Dies ergibt immerhin noch 28 Minuten Abkühlzeit. Du siehst das Problem
- Was wäre denn nun die optimale Bremskombination? Man zieht die Reverser beim Touchdown auf, lässt die Autobrake OFF, und bremst erst bei 100 Knoten manuell (dann wenn die Reverser nicht mehr so effektiv sind), dann beträgt die Bremskühlzeit weniger als 10 Minuten! Etwa dasselbe ist der Fall, wenn man - statt manuell zu bremsen – die Autobrake auf LOW oder 1 einstellt. Diese ist so verzögert, dass sie erst einige Sekunden nach dem Touchdown zubeisst, wenn die Speed im Normalfall in der Region von 100kt ist. Auch hier: Bremskühlzeit weniger als zehn Minuten.
Eine potentiell gefährliche Unsitte: Oft wird auf langen Bahnen die Autobrake ausgelassen. Bei ca. 100kt bremst man mal kurz mit den Fussbremsen, um zu schauen, wie "griffig" die Bahn ist. Und dann lässt man das Flugzeug - voller Vertrauen in die eigene "Bremsmessung" von vorher - mit hoher Geschwingidkeit ans Bahnende schiessen, um dann sportlich zu bremsen und von der Bahn abzurollen. NUR: Genau da, am Bahnende befindet sich der ganze Gummiabrieb der Touchdownzone der Gegenrichtung. Und die ist manchmal so rutschig, dass es fast Glatteis nahe kommt. Schon manch einer ist hinten über die Schwelle geflogen, weil er diesen Effekt nicht einkalkuliert hat. Big NO-NO.
Und noch eine goldene Regel: Egal was die Behörden und der Hersteller vorschreiben: Wenn’s nötig wird, hat der Captain die Autorität, alles zu unternehmen, was den Flug „rettet“. Also lieber Max Reverse und heisse Bremsen nachts um halb drei, als schön still hinten über die Bahn rauszusegeln. Nur – dann ist eh schon viel falsch gegangen...
Wieder einmal ein etwas längerer Exkurs, aber hoffentlich nicht langweilig (sonst: PM mit roter Karte an mich :007: ).
Liebe Grüsse,
Markus
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