Queenstown - Sydney
Ein Dienstag. Ein Tag im Leben eines Jetsetters. So könnte der heutige Titel des Reiseberichts heissen. Er zeigt, was man alles an einem einzigen Tag erleben kann: Morgens Queenstown, Neuseeland - dazwischen Überraschendes - und abends Sydney, Australien. Ich schreibe mal alles auf, vom frühen Morgen bis zum späten Abend. Dieser Bericht ist deshalb etwas lang.
Wie immer wache ich kurz vor Sonnenaufgang auf. Meine innere Uhr weckt mich jeden Tag automatisch - egal, wann ich ins Bett gekommen bin, wo immer ich gerade schlafe und in welcher Himmelsrichtung das Hotelzimmer liegt. Es ist halb 7 Uhr in der Früh gerade in Queenstown. Ich schaue vom Bett aus durch die deckenhohen Fenster des Designerhotels auf einen Berg und sondiere die Lage. Der Wetterbericht hatte gestern für heute Bewölkung und Regen gemeldet. Regnen tut es nicht. Aber: ist es nun bewölkt oder nicht? Diese Frage ist in der Morgendämmerung schwer zu beantworten: Man sieht keinen Sonnenstrahl auf einem Berggipfel, was auf Bewölkung schliessen lässt. Ich überlege, ob ich weiterschlafen und mir dann um 9 Uhr ein Frühstück aufs Zimmer kommen lassen soll. Das wäre ein erholsamer Morgen. Ich könnte dann anschliessend durch das kleine Queenstown wandern, vielleicht noch die ein oder andere Besorgung machen, dann ein gutes Lammgericht zu Mittag essen, bevor ich rechtzeitig zum Flughafen fahre: erst um 16 Uhr geht mein Flieger nach Sydney sogar nonstop, damit ich Abends rechtzeitig in Australien zum Abendessen da bin.
Ich habe heute also viel Zeit. Soll ich also auf „gemütlich“ machen? Das macht Sinn, denn ich habe in Queenstown ja schon wirklich viel erlebt und mit dem Wetter enormes Glück gehabt: Ich denke zurück an meinen Ankunftstag, wo ich den ganzen Nachmittag für mich Zeit hatte, eine Bergwanderung zu machen. Und ich denke an den traumhaften Flug nach Milford vorgestern, an die Bootsfahrt durch den Fjord, an meine Wanderung im Fjordland und an die Rückfahrt mit dem Bus. Das einzige, was nicht traumgemäss geklappt hat, war das geplante Nachtskilaufen am Peak Corner, aber dafür ich war am Sonntag zu spät dran. Man kann im Leben nicht alles haben.
Mir dämmert aber in der Morgendämmerung, dass es vielleicht noch zu früh ist, um eine belastbare Aussage zu machen, ob es nun bewölkt ist oder nicht. Vielleicht ist die Sonne ja noch gar nicht über den Bergen aufgegangen, und kann deshalb den Berghipfel nicht anstrahlen. War es gestern morgen nicht auch so? Ich stehe also auf, gehe in meiner Boxershort zur Balkonfenstertüre, öffne sie, und wage halbnackt den Schritt auf den Balkon, wo es gerade mal 2 Grad kalt ist: der Balkonboden jedenfalls ist saukalt für Barfüsse. Mein Blick geht nach oben in den Himmel: Keine Wolken! Man sieht sogar noch die letzten drei Sterne in der Dämmerung.
Mein Entschluss steht sofort fest, ohne gross nachzudenken: Jetzt unter die warme Dusche, danach Koffer packen, dann ein schnelles Frühstück und der Checkout. Das alles mache ich ziemlich flott in dieser Reihenfolge. Um viertel nach Sieben gebe ich mein Gepäck an der Reception ab: "Bitte bis 2 Uhr verwahren, bis dahin auch meine Rechnung fertigmachen, meine Kreditkarte haben sie ja", sage ich: "Und ich brauche um 2 Uhr nochmals kurz ein Tageszimmer, geht das?" Ja, es geht, sagt man mir.
Ganz klar: Der Mann hat noch etwas vor! Der Mann will aus diesem Tag noch etwas machen! Dieser Mann bin ich. Ich laufe ins Zentrum von Queenstown, zu einem Shop, der sein Geschäft um halb acht aufmacht. Ich will schnell eine Hose probieren und dazu passende Schuhe finden, denn um 8 Uhr fährt ein Bus los, und in diesem Bus möchte ich schon mit den richtigen Klamotten sitzen, um mich nicht zu blamieren. Mit meinen schwarzen Golfschuhen, meiner Jeans, meiner schwarzen Lederjacke und meiner grauen Kopfkappe würde auffallen. So gekleidet kann man in der First Class fliegen, aber nicht in diesem Bus fahren, in dem eher Jugendliche sitzen.
Die junge Modeberaterin im Shop merkt: Ich habe es eilig. Schuhgrösse? "41" rufe ich. Sie holt einen schwarzen Schuh mit der Grösse 41 aus dem Regal, ich schlupfe hinein und sage sofort: "Der drückt, also 42!" Sie kommt jetzt mit grauen Schuhen daher, Grösse 42, dazu passend eine beige Hose, breit genug für meinen Bauch. Einen eigenwilligen Modegeschmack haben die jungen Neuseeländer, muss ich sagen. Grau und Beige, dazu rote Applikationen - das passt nicht unbedingt zu meinem schwarzen Pullover, den ich gerade anhabe, denke ich mir. Aber über Geschmack kann man sich nicht streiten.
Ich sitze pünktlich um 8 Uhr in dem Bus. Wir fahren 25 Kilometer weit und auch einen Berg hoch. Auf 1.200 Meter Höhe steigen wir aus - ich in meiner beigen Hose und den grauen Schuhen, die noch dazu diese geschmackvollen rote Verschluss-Applikationen haben. Ach ja, was ich vergessen habe, zu erwähnen: die geliehenen Stöcke und Ski hole ich aus dem Frachtraum des Buses, bevor ich mich am Ticketschalter anstelle: Ja, ich habe beschlossen, den ganzen Vormittag bis 14 Uhr Ski zu fahren, bevor ich um 16 Uhr zum Abendessen nach Sydney fliege. Ein bisschen Dekadenz muss ja sein: Denn wenn ich schon im australischen Port Douglas eine Tag lang am berühmten Great Barrier Reef tief im Meer Tauchen war und sogar eine Hai gesehen hatte, dann darf doch Skifahren in Neu Seeland gut eine Woche später nicht fehlen - oder ist da jemand der Leser hier im Forum anderer Meinung? Man gönnt sich ja sonst nichts im Leben...
Einen Halbtages-Skipass gibt es nicht am Peak. Also nehme ich einen Ganztagespass für umgerechnet 58 Euro. Dafür kann ich alle 3 Sessellifte am Peak Corner nutzen, und auch die 4 Schlepplifte. Es zahlt sich aus: Ich bin einer der ersten am Lift, wo noch altmodisch per Sichtkontrolle die Gültigkeit des Tickets geprüft wird. Und ich geniesse ein Wetter, dass ich so nicht erwartet habe: strahlend blauer Himmel, am Horizont ein paar Quellwolken - und einen fantastischen Blick über das Bergpanorama mit seinen schneebedeckten Gipfeln und dem Frühling im Tal. Grandios. Ich komme schon auf der ersten Liftfahrt aus dem Staunen nicht heraus. Sollte es heute nich regnen?
Ich habe eine Gewissheit gewonnen: Der Wetterbericht in Australien und Neuseeland stimmt nie, meist ist genau das gegenteilige Wetter angesagt: In Port Douglas sollte jeden Tag die Sonne scheinen, ich erlebte nur Regenwetter. In Queenstown sollte es regnen, ich erlebte fast nur Sonnenschein. So verkehrt ist die Welt da unten, in down under und in Neuseeland. Einfach alles anders herum: Wir haben Sommer, die da unten Winter. Wir schlafen, die da unten sind hellwach.
Wir baden im Chiemsee, die da fahren Ski. Und ich fahre Ski ...
Ich bin die letzten 4 Jahre kaum oder gar nicht Ski gefahren. Leider. Ich habe auch keinen Sport getrieben, keine Gymnastik. Darum habe ich jetzt auch einen Bauch und sollte vorsichtig fahren. Ich rutsche die ersten Meter auf der Piste langsam runter und merke, dass ich nichts verlernt habe. Der Schnee ist hart und firnig, aber genau das macht mir Spass: Mit guten Schwüngen komme ich flott nach unten. Ich kann es also doch noch. Die Pisten machen mir es aber auch nicht sonderlich schwer: die schwarzen Pisten haben eher einen roten Schwierigkeitgrad, meine ich. Ich bin nicht der Schnellste, aber einer der Schnellsten, und freue mich darüber, wie leicht und elegant es mir fällt.
Es ist leer auf der Piste an diesem frühen Dienstag Vormittag.Mein IPhone darf mir Musik machen, es darf aber auch wieder viel fotografieren. Es ist eine illustre Gesellschaft auf dem Corner Peak. Die besten neuseeländischen Skifahrer sind noch da, denn am Wochenende war die nationale Skimeisterschaft. Sehr gesprächig waren die flotten Skimädels beim Liftfahren aber leider nicht. Da waren die Japaner schon gesprächiger. Vermummt in Skisachen erkennt man ja gar nicht, dass es Japaner sind. Aber die wissen gut Bescheid, nämlich dass das Oktoberfest in München schon im September ist. Was Japaner so alles wissen! Ich bin wirklich erstaunt. Ansonsten habe ich viele Australier und Südafrikaner getroffen, die hier am Ende der Hochsaison ihren jährlichen Skiurlaub verbringen. Ja genau, wo sollen sie denn sonst laufen, die Japaner, Afrikaner und Australier? In Neuseeland können sie laufen, das ist für sie nicht so weit weg!
Es ist wie immer sehr schwer zu beschreiben, was ich gerade empfinde und sehe: Ich atme gerade eine grandiose Natur ein - einatmen ist das richtige Wort dafür: Frische Luft, weisser Schnee, blauer Himmel, die Sonne, ein paar schöne Quellwolken, die Täler im frühen Frühling und ein blauer See im Hintergrund - das alles klingt gesund und ist es auch wie im Bilderbuch. Doch: Sind denn die neuseeländischen Alpen schöner als unsere? Diese Frage ist schwer zu beantworten. Neuseeland ist unberührt, und das merkt man. Vor 2.000 Jahren sahen unsere Alpen gewiss genauso aus. Heute haben unsere Alpen eine Kultur entwickelt, die Neuseeland noch nicht hat. Zwar gibt es auf dem neuseeländischen Peak Corner auch Heidi's Skihütte (nachgebaut aus der Schweiz), aber naja, man braucht schon viel Fantasie, um in diesem Bauwerk und seiner Speisekarte eine kultivierte Alpenhütte zu sehen...
Die Zeit vergeht: Ich fahre Ski, halte an, geniesse die Natur und fahre weiter. Der Schnee ist nicht mehr hart, sondern weich, die Sonne macht ihn matschig. Es ist bereits ein Uhr Mittags. Ich wäre gerne länger geblieben, aber ich muss mit dem ersten Bus zurückfahren nach Queenstown, denn schliesslich geht bald mein Flieger. Ausserdem bin ich schlapp. Ich bin soviel und flott gefahren, dass meine ungeübten Beine müde sind. Man muss mir sogar helfen, die Schnallen meiner Skischuhe zu öffnen, ich selber schaffe es nicht mehr.
Gut 30 Minuten braucht der Bus nach Queenstown. Dort gebe ich meine geliehenen Skisachen ab, und kurz vor zwei Uhr bin ich im Hotel, dusche mich, wechsle das verschwitzte Hemd und will meine Rechnung bezahlen. Ich kontrolliere selten Hotelrechnungen, denn ich habe Vertrauen. Doch in diesem architektonisch gut gelungenem Designerhotel fehlt mir das Vertrauen in das Personal, denn Service und Frühstück waren nicht das Beste, beides hatte sein individuelles Design, was mir nicht sonderlich gut geschmeckt hat, um es mit dieser bildhaften Sprache zu umschreiben. Und siehe da: Das Frühstück wird extra berechnet auf der Rechnung, obwohl inclusive vereinbart war. Die Rechnung ist schon fertig, der Betrag meiner Kreditkarte belastet, und fürs Frühstück hätte ich ja immer unterschrieben, sagt man mir. Das stimmt. Dazu muss man wissen: Ich unterschreibe alles, was man mir vorlegt. Ich habe ja Vertrauen, alles wird schon richtig sein (Vertrauen: das lateinische Wort dafür heisst Kredit, fällt mir gerade ein, und wenn ich an die tagesaktuellen Ereignisse in der Bankenwelt denke, wo sich Banken gegeneinander keinen Kredit mehr einräumen, sieht man, wohin mangelndes Vertrauen führt: in eine Finanzkrise). Ich habe vertraut und den Beleg bereits weggeworfen, wo Breakfast inclusiv draufstand. Beleglos stehe ich also da. Ich bitte, nochmal nachzusehen und die Rechnung zu korrigieren. Geht nicht, sagt man mir, ist bereits alles gebucht.
Der Taxifahrer ist auch schon da und wartet seit 10 Minuten. Ich fahre los, bin verärgert und checke am Flughafen nach Sydney ein. Mit den letzten neuseeländischem Münzen leiste ich mir ein spätes Mittagsessen: es reicht gerade noch für ein Wasser und ein Sandwich, zu mehr aber nicht. In meiner Lederjacke entdecke ich den Hotelzimmerschlüssel von meinem Tageszimmer: Soll ich diesen jetzt in den Postkasten werfen, oder nicht? Ich könnte mich rächen, und ihn nicht in den Postkasten werfen. Aber Rache ist nicht mein Ding. Also werfe ich ihn in den Schlitz. Und ich bin gespannt, ob siche dieses Designerhotel für meine Geste nachträglich revanchiert und ob es kreditwürdig ist. Um es zu verraten: es war dann doch kreditwürdig, es korrigierte den Fehler und schrieb mir 120 Euro wieder gut.
Das Boarding beginnt kurz vor 16 Uhr. Wir dürfen zu Fuss zum Flugzeug gehen. Ich finde das viel schöner, als mit einem Bus zum Flieger gebracht zu werden oder über einen Finger das fliegende Zeug zu besteigen: Auf dem Spaziergang über das Rollfeld Man sieht ein Flugzeug in seiner ganzen Schönheit und mit all seinen kleinen Details. Man riecht auch Kerosin. Bei einem Fussweg zum Flugzeug werden viel mehr Sinnesorgane angesprochen, als bei einer Busfahrt: so muss es vor 40 Jahren in München Riem gewesen sein.
Die Treppe führt herauf zu einem Airbus A 320 der Air New Zealand, der uns in etwas mehr als drei Stunden nach Sydney bringen wird. Zuerst gehe ich durch das kleine Businessclass-Abteil mit 8 breiteren Ledersitzen. Da denke ich schon kurz nach, warum ich auf diesen Komfort verzichtet habe bei meinen Flügen mit Air New Zealand. Doch die Vernunft hatte gesiegt: ich glaube, dass die Business auf den beiden längeren Flügen mit Air New Zealand gute 1.000 Euro teurer gewesen wäre, als die Flüge in der Holzklasse. Und die Flugzeit ist zu kurz, um hier einen echten Komfortvorteil zu geniessen....
Auf diesen Flug nach Sydney habe ich mich auf jeden Fall gefreut. Ich hatte gehofft, dass wir in Queenstwon auf der Westbahn starten, denn ich hatte bei meinem Flug nach Milford beobachtet, dass dort die Boeings ziemlich nahe an einer Felswand starten, jedenfalls viel näher an einem Berg wie beispielsweise in Innsbruck. Für einen solchen Start hätte ich auch auf der richtigen Seite des Flugzeuges gesessen, nämlich wie immer links. Aber es sollte so nicht sein: Wir sind nach Süden gestartet und dann nach Westen abgedreht. Es war dennoch ein aussergewöhnlicher Start, denn die Hügel links waren hoch genug und das Bergmassiv frontal Richtung Westen sowieso. Sehr schnell waren wir aber in den Wolken. Das schon gestern angekündigte Tiefdruckgebiet hatte jetzt das südliche Neuseeland erreicht, und die Wolkendecke blieb auch bis kurz vor Australien verschlossen.
Für den Anflug auf Sydney hatte ich auch einen Wunsch: wir sollten am besten über das Stadtgebiet fliegen und uns vom Land her der Landesbahn nähern. Dann sieht man Sydney in seiner ganzen Pracht vom Flugzeug aus. Das ist ein Anblick, den auch Vielflieger noch geniessen können: Bei meinem Flug im A 380 von Singapore nach Sydney konnte ich diesen Anblick leider nicht sehen, wir sind vom Meer her gekommen, denn es war ja noch sehr frühmorgens und es gab Landwind. Doch heute wurde mein Wunsch erfüllt. Wir kamen von Osten, drehten westlich über der Sydney wieder Richtung Osten zum Landeanflug. Bei einem solchen Anflug sieht man alles von Sydney: Zuerst die Schiffe und Ozeanriesen im Hafen und Meeresbusen, dann bald schon die Wolkenkratzer am Horizont, dann direkt unter der Tragfläche die verzweigten Meeresarme mit den unzähligen kleinen Segelschiffen und Vororten, dann schon klar erkennbar die Harbour Bridge und auch die Oper mit seiner unverwechselbaren Architektur, unter der Tragfläche wiederum die vielen Schiffe in den Meeresarmen, dann immer klarer die Skyline von Sydney fast auf Augenhöhe, denn der Flughafen ist nicht weit vom Stadtzentrum entfernt, vielleicht 10 Kilometer und schon ist man gelandet in Sydney.
Durch die Zeitverschiebung landen wir kurz nach 5 Uhr nachmittags in Sydney. Zwei gewonnene Stunden, zwei geschenkte Stunden, die ich voll nutze. Zuerst darf ich die gewonnene Zeit mit den bürokratischen Einreiseformalitäten nutzen: Wie überall auf der Welt muss man auch in Australien Formulare ausfüllen, wenn man in ein fremdes Land reist. Man muss Sachen ankreuzen. Ich kreuze aus Erfahrung durchgehend meistens "No" an, ohne die Frage genau zu lesen. "No" ist eigentlich immer gut. Haben Sie Waffen dabei? No! Planen Sie einen Anschlag? No! Haben Sie Kontakt zu einer terroristischen Vereinigung? No! Wurden Sie jemals als Terrorist verurteilt? No? Sind Sie schon mal im Gefängnis gesessen? No! Waren Sie in den letzten 3 Wochen in Südafrika oder in Kimbutko? No!
Waren Sie in den letzten Woche auf einer Farm und haben Sie Stiefel im Gepäck? "No" kreuze ich auch hier an. Und das war mein Fehler. Mein Gepäck wurde nach Ankunft in Sydney mit Rötgenstrahlen durchleuchtet. Deutlich zu sehen: Stiefel! Ich wurde herausgewunken und befragt: Waren Sie auf einer Farm? Ich sage nein (obwohl ich in Neuseeland auf einer Farm war, das war also gelogen). Haben Sie Stiefel dabei? Da sage ich ja, denn es sind im Koffer tatsächlich Stiefel. Warum haben Sie dann auf ihrer Einreisekarte angegeben, dass Sie keine Stiefel dabei haben? werde ich befragt. Weil ich das so nicht verstanden habe, sage ich, mein Englisch ist nicht das Beste (und das ist wirklich nicht gelogen, denn weiss ich spontan, was Boots sind? Nein! So etwas trägt die modische Jugend, dachte ich oder irre ich mich da? Ich habe noch nie Boots getragen, dachte ich mir). Dass Boots auf gut Deutsch Stiefel sind, das wusste ich nicht sofort, erkläre ich dem Beamten. "Öffnen Sie ihren Koffer!". Ich öffne ihn. Ich muss meine Stiefel herausholen, es sind Timberlands. Zwei Beamte schauen sich die Sohlen an: Sind dort planzliche Reste zu finden, oder sogar Mist? Ich habe Glück. Kein Mist dran, sondern nur paar Kieselsteine, die sich in der Profilsohle verfangen haben, als ich auf einer grossen Schaffarm nahe Queenstwon war. Dazu muss man sagen, dass in Neuseeland 80 Millionen mehr oder minder glückliche Schafe leben und nur 3 Millionen Menschen. Auf dieser Farm mussten die Schafe in ihrem Leben 8 mal komplett Wolle geben: sie wurden also 8 mal bis auf die nackte Haut geschoren, bis sie als Lamm-Care auf dem Speisezettel eines Restaunrants landen. Ja, so ist das Leben der neuseeländischen Schafe, also keineswegs romantisch, wenn man sich das mal genau betrachtet.
Ich habe also zum Glück keinen Mist an meinen Schuhen, bringe also keine neue Seuche nach Australien, und darf einreisen auf diesen schönen Kontinent und in diese schöne Stadt, die Sydney heisst. Vorher höre ich mir aber die Ermahnung der Beamten geduldig an und gelobe Besserung, mein Englisch zu verbessern. Die australischen Beamten sind hier noch genügsam. Gut, dass mir dieses Missgeschick nicht bei der Einreise in die USA passiert ist. Dort sind die Beamten nicht so genügsam. Ich habe immer ein ungutes Gefühl, wenn ich in die Staaten fliege oder aus Kanada in die USA einreise, mit dem Auto oder dem Flugzeug. Da darf man bloss nicht die falsche Antwort geben. Das kann bei den Amis echt Konsequenzen haben, schlimme Konsequenzen.
Wir sind aber in Australen, in Sydney. Mit meinem Rollkoffer und meiner Reisetasche mache ich mich auf den Weg zum Taxistand. Ich weiss, wo es langgeht. In Sydney fühle ich mich fast heimisch. Ich mag diese Stadt, ich liebe sie. Sie ghört zu den wenigen Städten auf dieser Welt, wo ich sofort wohnen könnte.
Heute übernachte ich nicht im Oberservatory, sondern im Mercure Airport Hotel. Das steht auf meinem Reiseplan. Nach meiner Ankunft erschliesst sich mir nicht der Sinn, warum ich am Airport übernachten soll, in diesem Mittelklassehotel, das zwar ganz okay ist, aber nicht das gewisse Extra hat, dass ich doch so liebe. Warum habe ich kein Zimmer im Observatory? In das Observatory bin ich wirklich verliebt, ein einzigartiges Haus, ein Hotel mit Stil, mit viktorianischem Stil. Es hat auch das beste Restaurant in Sydney, sagt man, und ich kenne es: es mundet wirklich. Warum darf ich nicht dort übernachten?
Hätte ich meinen Reisplan nur eine Zeile weitergelesen, dann hätte ich gewusst, warum das Airporthotel gebucht war: Mein Flug am nächsten Tag nach Singapore war nicht nachmittags (wie ich dachte) sondern vormittags. Fast hätte ich diesen Flug verpasst, weil ich auf Nachmittag gepoolt war und nicht nachgesehen hatte.
Es soll also nur das Airporthotel sein. Der Taxifahrer ist auch enttäuscht, ja fast schon unartig. Nur ein paar Kilometer? Ja, nur zwei Kilometer! Nicht viel Geld, ich weiss. Aber weil er darüber so geschimpft hat, habe ich ihm kein Trinkgeld gegeben. Da bin ich konsequent. Das Mercure ist eine Bettenburg. Standardmässig die Rezeption, sie gibt aber gute Auskünfte: Ich möchte zur Post in die City, zur alten Post, da bin ich zum Abendessen verabredet. Taxi? No Problem! Bahn? Auch no Problem! Ich bekomme einen Plan, wie ich den Bahnhof finde. 10 Minuten muss ich zu Fuss laufen, und da ist er wirklich, der Bahnhof und ein zuvorkommender Inder am Ticketschalter. Er sagt mir, auf welchen Bahnsteig ich gleich muss, wo ich am Besten aussteigen soll und er verkauft mir ein Rückfahrtticket, damit ich Geld spare.
Ich fahre gerne Zug, gerade, wenn ich in fremden Städten bin und wenig Zeit habe, eine Stadt ernsthaft zu erkunden. Wenn ich eine Stadt und vor allem die Menschen dort "angehaucht kennenlernen" möchte, dann muss man U- oder S-Bahn fahren. Dann bekommt man einen ersten Eindruck von einer Stadt, von den Menschen, die dort arbeiten, zur Schule gehen oder nur andere Menschen besuchen wollen, und deshalb mit der Bahn fahren. Deshalb fahre ich gerne mit dem Zug, in einer U- oder S-Bahn, wenn ich in einer fremden Stadt bin. Die Zugfahrt in die Innenstadt von Sydney ist fast wie S-Bahnfahren in München, nur das die Vorortzüge in Sydney Doppeldecker sind und nicht so leise, sauber und pünktlich sind, wie die Münchner S-Bahn. Ich fahre über die Central Station eine Station weiter, wo ich schon fast am Ziel bin - also nur ein paar Wegminuten entfernt vom alten Post Office in Sydney.
Die alte Post zu Sydney. Sie ist etwas mehr als 100 Jahre alt. Ein breites Gebäude, auch viktorianischer Stil, und in der Mitte ein Turm, vielleicht so 50 Meter hoch. Genau hinter der alten Post steht ein modernes Hotel, bestimmt 150 Meter hoch. Ein Atrium ist das Bindeglied zwischen beidem - der alten Post und dem modernen Hotel. Eine bemerkenswerte Architektur. Wenn man also in dem Hotel einchecken will, geht man erst durch die historische Post und landet dann an einer modernen Rezeption. In Untergeschoss des Atriums befinden sich viele Selbstbedienungs-Restaurants - japanische genauso wie italienische.
Ich bin beim Italiener verabredet. Der Pizzabäcker, bei dem wir unsere Bestellung aufgeben, der mag uns: Unsere Kleiderordnung ist normal und bequem. Sie passt nicht ganz so zu den Anziehsachen, die das Publikum hier so trägt. Kostüm ist bei den Frauen angesagt, und Schlips und Krawatte bei den Männern, natürlich auch der Nadelsteif. Es sind Banker, die hier verkehren, es sind Mitarbeiter international agierender Unternehmensberatungen, die in Sydney ganze Hochhäuser haben, um aus diesen Häusern die Welt zu beraten.
Wir suchen uns gerade die Pizzen aus, doch zwei Business Frauen sind plötzlich vor uns da. Sie bestellen einfach, obwohl sie bemerkt hatten, dass wir vor ihnen da waren! Ich meine sogar, einen verachtenden Blick von einer Lady gespürt zu haben – unsere Jeans und meine Lederjacke, wie unpassend, und mein graues Haar erst. Gar nicht Yuppie bin ich. Ich schaue den Pizzabäcker an, er zuckt mit den Schultern und grinst nett. Wir stehen also plötzlich hinter den beiden Business-Damen (gute 15 Jahre jünger als ich) und hören zu, warum sie so wichtig sind und was sie so Wichtiges zu erzählen haben: Beide arbeiten also für eine international bekannte Unternehmensberatung, der Namen sogar ich kenne. Und beide retten offensichtlich gerade das einzige australische Autowerk vor dem drohenden Weltuntergang. Ich denke, dass es diesen Weltuntergang nicht gibt: Was geht aber in solchen Menschen vor, öffentlich Betriebsgeheimnisse auszuplaudern? Oder verraten sie keine Betriebsgeheimnisse, sondern tun nur so, als ob es geheim wäre, um sich wichtiger zu fühlen? Ich glaube, zweites war hier der Fall. Beide scheinen ziemlich oft zu fliegen, denn sie beklagten auch den Businessclass-Service von Qantas. Ich mache mir so meine gemeinen Gedanken, vielleicht sogar sehr arrogante Gedanken – und das möge man mir verzeihen. Ihr beiden Frauen seid nur arme Business-Würmchen, denke ich mir: Ich fliege First Class, und ihr beiden Yuppiemädels nur Business-Class.
Es hat nichts genützt den beiden Ladys: Der Pizzabäcker machte unsere Pizzen doch zuerst. Schön. Meine hat geschmeckt und die alte Post war seinen Besuch Wert. Mit der Bahn ging es dann wieder zurück in das Airport Hotel. Dort bin ich zufrieden eingeschlafen: Es war ein intensiver Tag mit extrem unterschiedlichen Erlebnissen: Skifahren, Fliegen und Yuppie-Erlebnisse. Und morgen erwartet mich das nächste Extrem: Ein First Class Flug mit Singapore Airlines im Space Bed.