Seatbelt Signs bei Turbulenzen

Transrapid

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Bei meinen letzten Fluegen ist bei mir die Frage aufgekommen, nach welchen Kriterien ein Pilot entscheidet, bei Turbulenzen die Seatbelt Signs anzumachen.

Bei einem Flug kam es beim Ueberfliegen einer Wolkenfront (wenig ueberraschend) zu Turbulenzen, wobei die Signs erst nach einigen starken "Rucklern" angingen und die Crew relativ hektisch zum Hinsetzen aufgefordert hat.

Bei einem anderen Flug hingegen wurden die Anschnallzeichen mehr oder weniger vorsorglich aktiviert und blieben gut 25 Minuten an, ohne dass staerkere Turbulenzen auftraten.

Desweiteren ist mir aufgefallen, dass es wohl zwei "Stufen" der Anschnallpflicht gibt; eine, bei der nur die Passagiere angeschnallt sein muessen und eine wo auch die FAs sitzen muessen.

Meine Frage ist daher: Nach welchen Kriterien entscheiden Piloten, ob die Seatbelt Signs bei Turbulenzen aktiviert werden und ob auch das Kabinenpersonal sitzen muss?

Vielen Dank im Voraus fuer eure Antworten!
 
Ein sehr vielschichtiges und leidiges Thema!

Leider ist eine annähernd verlässliche Vorhersage von Turbulenzen weder Boden- noch Bordseitig möglich. Lediglich bei Wetterlagen mit Quell-/Gewitterbewölkung weiß man eigentlich ziemlich sicher, dass es beim Einflug in diese Art der Bewölkung ordentlich wackelt.

Alles andere ist pure Lotterie: Es gibt zwar die Significant-Weather-Charts, in denen auch Gebiete mit Clear-Air-Turbulence eingezeichnet sind, in der Praxis verhält sich Turbulenz umgekehrt Proportional zur den Infos der Karte, sprich je mehr Warnung desto ruhig.

Starkwindfelder können nette Turbulenzen erzeugen, allerdings gibt es auch Tage an denen man von 120+ Knoten Wind angeschoben wird und im Briefing die Kabine fast auf den Weltuntergang vorbereitet, dabei ist es dann im Reiseflug seidenweich. An anderen Tagen hat es gerade mal 20 Knoten Wind und es wackelt wie verrückt.

Einzig die Fluglotsen und vorausfliegenden Kollegen sind ein halbwegs zuverlässiger Indikator. Allerdings sind die Turbulenzbereiche oftmals kleinräumig und inhomogen und manchen Controllern muss man alles aus der Nase ziehen. Ausserdem melden Kollegen teilweise die Intensität von Turbulenzen eher nach der Menge Kaffee, die sie sich gerade über die Hose gekippt haben als nach objektiven Kriterien.

Diese lauten wie folgt:

Moderate Turbulence:
• Moderate changes in aeroplane attitude and/or altitude
• Aeroplane remains in positive control at all times
• Small variations in air speed.
• Difficulty in walking
• Occupants feel strain against seat belts. Loose objects move around.​

Severe Turbulence:
• Loose objects are tossed around
• Abrupt changes in aeroplane attitude and/or altitude, aeroplane may be out of control for short periods
• Large variations in airspeed
• Occupants are forced violently against seat belts.​

Light Turbulence ist also alles unterhalb von moderate. In der Praxis nicht ungebräuchlich ist auch folgende Definition:

Light Turbulence: Die Paxe schauen besorgt zu den FBs.
Moderate Turbulence: Die FBs schauen besorgt zu den Piloten.
Severe Trubulence: Die Piloten sind besorgt! ;)

Bei LH wurden ja unlängst die Anschnallregeln dahingehend verändert, dass man sowieso immer angeschnallt sein muss, solange man auf seinem Platz sitzt. Damit sind dann also für einen Großteil der Gäste die Szenarien mit aus dem nichts auftretenden Turbulenzen abgedeckt. Wer gerade auf dem Klo sitzt oder davor steht hat 'Pech gehabt'.

Sobald >= moderate Turbulence erwartet oder erflogen wird, werden dann die 'Signs' eingeschaltet. Dann müssen alle Gäste sitzen, ob der Service weitergeführt werden kann und ggf. mit welchen Einschränkungen (z.B. keine Heißgetränke, keine Wägen) muss im Einzelfall abgesprochen werden.

In der Praxis gibt es aber noch eine deutliche Grauzone, besonders auf 'langen' Fliegern à la A346 oder A321. Dort ist bei Turbulenzen, die man im vorderen Bereich des Flieger locker als 'light' einstufen würde, im Heck schon 'Rock 'n Roll' angesagt und die KollegInnnen 'von hinten' bitten um die Signs.

Da es selbst bei vorbereitetem Einflug in Turbulenzbereich immer wieder Verletzte unter den Paxen gibt ist es einerseits erstaunlich, wie blöd manche Leute sind und sich lieber die Birne an der Decke anhauen, als sich locker anzuschnallen. Andererseits erwächst daraus natürlich auch ein Problem für die Crews, denn z.B. gerade auf USA-Flügen sieht man sich vor dem geistigen Auge schon auf Milliarden von $$$ verklagt, weil man die Signs zu früh/zu spät/zu lange/you name it angeschaltet hat.

Ein klassische Fall von wie man's macht, isses falsch also.

Gruß MAX
 
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Einzig die Fluglotsen und vorausfliegenden Kollegen sind ein halbwegs zuverlässiger Indikator. Allerdings sind die Turbulenzbereiche oftmals kleinräumig und inhomogen und manchen Controllern muss man alles aus der Nase ziehen. Ausserdem melden Kollegen teilweise die Intensität von Turbulenzen eher nach der Menge Kaffee, die sie sich gerade über die Hose gekippt haben als nach objektiven Kriterien.....................


und genau deswegen sind Controller da oft vorsichtig. Offensichtlich ist die Wahrnehmung von Turbulenz (auch von Gewitterwolken) recht subjektiv. Womit man sich bei zu schneller oder engagierter Weitergabe der Infos auch lächerlich machen kann. 'Severe Turbulence? Hier ist nix!'


Wir können halt nur wiedergeben was wir berichtet bekommen und das gefällt so Controlfreaks wie uns nicht. Deswegen gilt auch für uns, wie man's macht es ist verkehrt ;)


Saigor
 
Jaja, ist klar!

Der 'Dank' richtete sich auch mehr an die Fraktion Frankreich, Balkan etc.

Wenn wir mit Turbulenzen rechnen und der Lotse beim Initial Call nichts sagt, fragen wir meist gleich nach der Antwort darauf explizit nach: 'Do you have turbulence reports?'

Wenn wir aber mit nichts rechnen, wäre es umso interessanter, ungefragt die Reports der Kollegen weitergereicht zu bekommen. Wenn es dann plötzlich anfängt und man ganz vorsichtig nach reports fragt, bekommt man nicht selten von den o.g. Brüdern zu hören 'Affirm, moderate to severe turbulence reported between FL310 and FL370'. Das wüsste man natürlich schon gerne vorher und am besten ungefragt.

Daher gleich eine Frage: Was sagen denn Eure Vorschriften dazu? Gibt es eine Empfehlung bzw. Verpflichtung, neu auf die Frequenz kommende Flieger über vorhandene, bestätigte Reports zu informieren?

Viele Grüße, MAX
 
Max, vielen vielen Dank für deine ausführliche Antwort! :resp:

Finde ich sehr beeindruckend, dass du dir trotz deines zeitintensiven Berufs die Zeit nimmst, unsere Fragen hier im Forum so fundiert zu beantworten. :airplane:
 
Falsch:

...trotz deines zeitintensiven Berufs

Richtig:

...trotz deines Teilzeitintensiven Berufs;D

Aber trotzdem Danke und gerne!

Gruß MAX
 
wie so vieles, wenn Zeit vorhanden ist es zu sagen und wenn es als notwendig angesehen wird. Also Gummiparagraph ohne Ende.
Als Approacher hat man es da eh leichter, beim ersten Report werde ich hellhörig, frage dann den einen oder anderen ob er auch Probleme hat. Wenn sich mehr als einer findet (schließt den Weichei-Faktor aus ;) ) dann lassen wir es aufsprechen. Das wird dann allerdings oft vergessen und dann trällert die ATIS noch von Turbulenzen wenn schon längst alles wieder ruhig ist - Hinweise werden dankend entgegengenommen, auch hier wieder mit Redundanz (wegen der jungen mutigen Piloten usw), und entsprechend verhackstückt.

Saigor
 
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