Hierarchie im Cockpit?

27Left

Mitglied
Hallo,

die Frage mag zunächst banal erscheinen, aber ich frage mich hin und wieder wie das Verhältnis Pilot/Co-Pilot (<- Firt Officer klingt merkwürdig:-) ) in der Praxis aussieht.
Welche Rechte und Pflichten hat der Pilot, die der 2. Mann nicht hat? Er wird im Zweifelsfall der Verantwortliche sein - aber wie äußert sich das in der Praxis, wenn von beiden Entscheidungen in Sekundenbruchteilen getroffen werden müssen?
Haben außerdem beide eine Art Veto-Recht -oder umgekehrt- ein "Entscheidungsrecht"?
Nur als Beispiel: Wenn der FO nun aus irgendwelchen Gründen "Startabbruch" sagt, kann er überstimmt werden? Oder muss der eine die Entscheidung des anderen sofort mittragen? Zeit zum Ausdiskutieren bleibt auf einem 2300m RWY ja nicht.

So viel ich weiß, wurde ja schon vor vielen Jahren nach dem Unglück von Teneriffa "mehr" Gleichberechtigung zum Trainingsstandard gemacht. Auf der anderen Seite aber kam der Segelflug des Hapag A310 (A300 ?) in VIE nur dadurch zu Stande, dass der Pilot seinen Kollegen überstimmte - obwohl dieser auf eine frühere Landung bestand - mit low fuel ist ja nicht zu spaßen :-)

Also....wie sind die Kompetenzen aufgeteilt und wer darf in der täglichen Praxis was?

Freue mich auf eure Beiträge!

Grüße
ingmar
 
Das Thema ist sehr komplex und läßt sich nicht in wenigen Absätzen abhandeln. Ich versuche es trotzdem mal...

Nachdem in den 70er/80er-Jahren teilweise noch ein recht 'interessanter' Ton im Cockpit herrschte ('Da wo Sie sitzen lag früher meine Mütze'), hat man dann erkannt, dass der Schlüssel zur Vermeidung eines Großteils der Flugunfälle in einer Verbesserung der Zusammenarbeit im Cockpit liegt. Das CRM oder Crew Ressource Management war geboren und damit hielt auch eine andere Kultur Einzug im Cockpit.

Grundsätzlich sind sowohl der Kommandant (so ist die aktuelle Diktion) als auch der Erste Offizier gleich qualifiziert, dh ein FO muss um seinen Checkout zu bestehen, das Flugzeug jederzeit sicher führen können. Dass dies bei einem neuen FO in einigen Bereichen nur theoretischer Natur sein kann ist offensichtlich, da man selbst in einer noch so umfangreichen Simulator- und Linienausbildung nicht das nötige Maß an Erfahrung akkumulieren kann. Dies benötigt einfach einige Jahre Zeit.

Normalerweise werden Entscheidungen im Cockpit nach mehr oder weniger zeitaufwendigen Modellen getroffen, um sicher zu gehen, die optimale Lösung für ein Problem zu finden. Da dies bei einigen Manövern nicht möglich ist, muss der Kommandant in diesen Fällen Entscheidungen 'im Alleingang' treffen, dafür bekommt er eine umfangreiche zusätzliche Schulung. Zu den Manövern gehört u.a. der bereits erwähnte Startabbruch, alle Schlechtwetteranflüge sowie alle anderen Anflüge/Landungen die dem Kommandanten unter Würdigung der Erfahrung des FO als 'kritisch' erscheinen.

Um ein intaktes Flugzeug bei schönem Wetter von A nach B zu bringen, wäre der 2. Mann im Cockpit heute eventuell nicht mehr nötig. Entscheidende Bedeutung kommt ihm aber bei jeglicher Art von Abnormals zu, da dann einerseits der Kommandant den Kopf frei haben muss, um zu managen, während der FO den 'Routinekram' machen kann.

Normalerweise ist die Ansage, dass innerhalb sinnvoller Grenzen der sicherere Weg gewählt wird, wenn im Cockpit unterschiedliche Meinungen herrschen. Wenn sich während des Abarbeitens eines Problems keine einvernehmliche Lösung finden läßt bzw. der Kommandant auf einer weniger sinnvollen Lösung besteht, dann sind die Möglichkeiten des FO leider sehr beschränkt, dies sind aber absolute Ausnahmen und sollten durch Auswahl und Ausbildung eigentlich vermieden werden.

Wann immer es sinnvoll ist, kann der FO aber 'die Notbremse ziehen' und z.B. einen Go-Around anordnen dem der Kommandant nicht wiedersprechen kann. Zumindest bei 'anständigen' Airlines ist dies so geregelt, schlimm dass es heutzutage in Europa noch andere Verfahren gibt.

Ich hoffe das hilft fürs Erste. Grüße aus ARN,

MAX
 
Tjaa... Theorie und Praxis, Kollegen und Berufsgenossen... eine 100% allgemeingültige Aussage kann man nicht treffen. Zwar wird inzwischen bei jeder (bzw jeder mir bekannten) Airline das 2-Mann Team vorgeschrieben (und grösstenteils auch gelebt) in der soweit irgend möglich alle Entscheidungen gemeinsam und in Absprache getroffen werden. In der Realität ist das noch in jedem Kopf angekommen.

Ist natürlich Situationsbedingt. Wenn bei einem Start Run, also beim Losrollen auf der Startbahn und vor v1 ein "Abort Takeoff" zu hören ist, wird IMMER erst angehalten, und dann nachgesehen, was los war. Ob die Worte aus dem Mund eines der Piloten oder evtl per Funk kamen, ist dabei ziemlich unerheblich.

In den allermeisten Fällen werden die beiden Piloten auch recht schnell zu einer Einugung kommen, wer nun was macht. Falls keine Einigung erzielt werden kann, greift natürlich dann doch die Hierarchie. Ausserdem gibt es bestimmte Verfahren, die zB nur der CPT fliegen darf (CATIII Landungen zB) GRundsätzlich ist es aber auch möglich, und sogar die Pflicht des Copiloten, einzugreifen und den CPT zu überstimmen, falls der Co davon überzeugt ist, daß der CPT die Sicherheit des Fluges nicht mehr gewährleisten kann. Beispielsweise sei der Unfall zweier B747 in Teneriffa genannt, als der KLM-Kapitän den Start einleitete, und der Co. Zweifel äusserte, ob die Bahn denn wirklich schon frei war. Leider wurde er vom Cpt. überstimmt, und fügte sich der Order seines Kommanders, der Start wure eingeleitet, und damit das grösste Unglück in der Geschichte der zivilen Luftfahrt.
Wenn so etwas heute noch einmal passieren würde, würde der Co. in diesem Falle wohl den Startverzicht bzw. -abbruch gegen seinen "Chef" durchsetzen.
Wobei sich sowas vom bequemen Stuhl aus, nach Auswertung aller Aufzeichnungen und Unterlagen leichter sagen lässt, als es dem Copiloten erging, der mit seinem hoch angesehenen und verehrten Ausbildungskapitän im Cockpit sass.
 
Bei vielen, gerade den neueren Typen "können" es beide.

"Dürfen" ist Companyabhängig. In D kenn ich keine Airline, bei der der FO am Boden lenken darf, ausserhalb gibt es aber immer mehr.
Weiß nicht, ob das sogar von Boeing/Airbus mit neuen SOP´s eingeführt wurde, wo auch schon am Boden viel mehr nach PF/PM und nicht nach CPT/FO unterschieden wird.
 
Richtig, am Boden soll nur der Cpt lenken und der Co denken ;D.

Geimeint ist das so, daß der Cpt auf die Anweisungen des Co bezgl. Taxiroute lenkt. Das ist an Plätzen wie MAD, CDG oder und anderen essentiell!

Wenn man aber an der Homebase ist, wie in STR, wo es nur zwei Möglichkeiten gibt für uns an die Position zu kommen, dann kann es auch mal sein, daß der FO rollen darf.
Ich habe es auch schon öfters gemacht und bin auch schon im Linetraining gerollt. Liegt am Cpt, aber gemäß Büchern rollt nur der Cpt.
 
In D ja, woanders eben nicht.

Mir fallen auf Anhieb 3 Airlines ein (Transavia B737, Qatar Airways A320, Atlas Air B747), wo jeweils der PF rollt. Wenn das der FO ist, ist das eben der FO. Das steht auch genau so in den Büchern.

Deshalb ja auch meine Idee, ob das im Zuge der neuen SOP´s eingeführt wurde, wo ja mittlerweile auch der FO die Triebwerke startet, der Captain die Enrouteclearance holt, etc... Wo halt auch am Boden die Aufgaben nach PF/PM aufgeteilt sind und nicht mehr nur nach CPT/FO.
 
Grundsätzlich ist es so, dass der Hersteller eine Vorgabe macht, wie er glaubt dass das Flugzeug optimal bedient werden kann, sozusagen eine Masterversion der Standard-Operating-Procedures.

Allerdings gibt es wahrscheinlich soviele Meinungen dazu wie es verschiedene Airlines gibt, wobei man nie sagen kann Airline 'A' machts das toll und was 'B' macht ist Mist. Hier kommte es sehr darauf an, aus welcher Richtung die jeweilige Airline kommt und wie sie sich entwickelt hat.

Wenn ein Operator meint, er würde lieber an machen Stellen von den SOPs des Herstellers abweichen, dann muss er sich dies von seiner Aufsichtsbehörde genehmigen lassen, was in der Regel kein Problem ist, wenn nachgewiesen werden kann dass damit das Zauberwort 'Same or Higher Degree of Safety' eingehalten werden kann.

Tatsächlich ist es so, dass AI (Airbus Industries) vor kurzem die Master-SOPs für den A320 dahingehend umgeschrieben hat (wie oben dargelegt), dass die Aufteilung CM1/CM2 quasi nur noch in wenigen Bereichen existiert. Ein interessanter Ansatz, der wohl zB. in USA teilweise schon radikal umgesetzt wird.

Damit gewinnt der FO zwar sehr schnell an Erfahrung auch in Bereichen von denen er bei der klassischen Rollenverteilung selten tangiert wird. Bei den 'US-Majors', wo man als FO bereits zig-tausende Stunden Commuter- und Regional-Erfahrung mitbringt und dort meistens auch schon als Commander geflogen ist, mag das besser funktionieren als in Europa, wo die FOs klassicherweise mit (böse gesprochen) 250 Stunden C172 in einen A320 wechseln.

Der Wind weht meiner Meinung nach aus der Richtung, dass man bei AI (einmal wieder?) den Fehler macht, die Bedeutung der Qualifikation der Flight Crew etwas niedrig zu bewerten, ein Faktor der mit der Einführung der neuen MPL-Lizenz sicher noch an Bedeutung gewinnen wird. Da können die Youngsters dann zwar den Flieger und das FMS 'bedienen' wie Ihren Gameboy, das sie aber nur wenige Stunden in einem echten Flugzeug verbracht haben, könnte evtl. 'etwas' der Respekt für die teilweise doch recht wenig nachsichtigen Naturgewalten und physikalischen Grundgesetze fehlen.

Ich bin (sicherlich auch aus Gewohnheit) eher ein Verfechter der klassischen Aufgabenteilung.

Gruß MAX
 
Danke für eure Antworten. Hat ein wenig Licht ins Dunkel gebracht!
Die Sache mit dem Rollen -und dass es eine soch hoheitliche Aufgabe ist:-) - wusste ich bislang noch garnicht! *staun*
 
Die Sache mit dem Rollen -und dass es eine soch hoheitliche Aufgabe ist:-) - wusste ich bislang noch garnicht! *staun*

Es ist nicht nur eine "hoheitliche" (schöner Ausdruck! :thbup: ) Aufgabe, sondern manchmal auch eine ganz schön diffizile.

Kleingerät auf großzügig ausgelegten europäischen Verkehrsflughäfen rumzurollern macht einfach Spaß; es verlangt zwar dem FO, wenn er mal darf, eine gehörige Portion Aufmerksamkeit ab, da er es eben nicht so gewohnt ist, aber die Sache ist machbar.
Einen A330 oder A343 in MUC einparken ist einen Tick anspruchsvoller, aber geht auch noch.

Wann immer ich aber mit dem A340-600 in JFK bin, bin ich über unsere klassische Rollenverteilung heilfroh und weiche keinen Millimeter davon ab. Dieses Dickschiff auf dem extrem engen und verkehrsreichen Platz verlangt von beiden höchste Konzentration auf ihr jeweilige Aufgabe. Chef rollt, ich navigiere und funke. Anders geht es nicht.

Grüße,
selcall
 
Zurück
Oben